„Autostrada“ und „Crema Roma“ von Martermühle

Heute möchte ich euch mit den ersten beiden in Deutschland gerösteten Espresso-Mischungen bekannt machen, die meinen Geschmack voll getroffen haben:

„Autostrada“ (70% Robusta/30% Arabica) und, mehr noch, „Crema Roma“ (60% Robusta/40% Arabica), beide von der Rösterei Martermühle in Aßling in Oberbayern.

Hannah Marks vom Martermühlen-Team hat mir, auf meine Bitte hin, freundlicherweise ein paar Zeilen zukommen lassen, in denen sie beschreibt, wer hinter dem Namen „Martermühle“ steckt und wofür die Rösterei steht:

„Wir sind ein Haufen von 25 Kaffeeverrückten, Peter und Ralf haben als Freunde vor 10 Jahren ihr Hobby zum Beruf gemacht und die Kaffeerösterei Martermühle gegründet. Den ersten Röster haben sie gebraucht von einem befreundeten Röster gekauft, kurzerhand mit einem Pferdehänger in einen alten Bauernhof vom Nachbarn gestellt – schon praktisch, wenn die Frauen reiten und man in Aßling zu Hause ist. Unser Bauernhof war damals ein alter Kuhstall – über 10 Jahre hinweg haben die beiden immer weiter restauriert, renoviert und inzwischen haben wir sogar zusätzlich eine kleine Produktionshalle in Grafing. Wir rösten bis zu 20 Minuten und das macht uns auch so besonders – dadurch kann sich das Aroma entfalten und die Säure baut sich ab. Insgesamt haben wir etwa 40 Sorten, gut die Hälfte ist Bio-zertifiziert. Uns sind Transparenz und direkter Handel wichtig.“
Herzlichen Dank dafür!

Die beiden Mischungen, die ich euch vorstellen möchte, unterscheiden sich deutlich voneinander – und haben doch auch Wesentliches gemeinsam:

Sie sind auf den Punkt dunkel geröstet – kein bisschen grün, kein bisschen verbrannt. Wahrscheinlich das, was unter Röstern „French Roast“ oder vielleicht schon „Dark French“ genannt wird. Für meinen Geschmack jedenfalls genau richtig!

Beide sind samtweich und geschmeidig im Mundgefűhl. Beide weisen tiefdunkle, süße, runde Edelkakao-Basisnoten auf und tolle, warme Röstaromen, die das  Aromen-Orchester nicht dominieren, sondern in voller Breite tragen.

Auf etwas Säuerliches wird man bei beiden, trotz sehr zurückhaltender fruchtiger Obertöne,  nicht stoßen.

Früchte können halt reif oder unreif sein. In aller Fülle sonnenangereichert oder im Lager blass nachgereift. Explizit sauer, zusammenziehend und durchrüttelnd wie Zitronen – die natürlich auch noch viele andere Aromen in sich bergen – oder wie harte Kiwis oder unreife Stachelbeeren. Mild-säuerlich und fast schon parfümiert wie Litschis. Langweilig schal wie diese roten, leicht säuerlichen Pflaumen, meist aus Spanien, die aromatisch meist unentschieden bleiben und deren saftarmes, dumpfknarzendes Fruchtfleisch in hiesigen Regalen nicht reif wird, sondern tendenziell gleich braun. Säuerlich-sanft aromatisch und zugleich voller schwerer Süße, wie Waldheidelbeeren oder Zwetschgen, die schon fast vom Baum fallen vor Spätsommertrunkenheit. Eingleisig zuckrig wie die perfekt glänzenden Persimonen, denen alles weggezüchtet wurde, was Kakis, die Ursprungsfrüchte, interessant und lecker macht. Oder eben auf eine warme, umfassende, komplexe, nährende, breite, ausfüllende, tief klingende Weise süß. So, wie eben reife, schon fast matschige, vollaromatische Kakis. Wie richtig guter Kakao, der keinen extra Zucker braucht. Und wie ein wirklich erlesener, meisterlich dunkel gerösteter Espresso.

Beide hier vorgestellten Espressomischungen kommen von der komplexen, zutiefst nährenden, umschmeichelnden, süßen Sonnenreifungsseite.

Ab hier beginnen die gustatorischen Eigenheiten.

Auf den „Autostrada“ bin ich durch eine Kurzrezension in der Illustrierten „Crema“ aufmerksam geworden. Die Sätze „Dunkel geröstet, kurz vor ölig.“ und “ … trotzdem erstaunlich weich und rund.“, sowie „Nussaromen gefolgt von Zartbitterschokolade mit einem Sahnehäubchen.“ haben mich angesprochen.

Hannah Marks schreibt: „Ein bisschen was noch zum Autostrada. Wir sind hier ja im wunderschönen Oberbayern und Italien ist nicht weit. Der Autostrada ist letztes Jahr Pfingsten bei einer Fahrt über den Brenner entstanden: Ein Espresso, genau wie der erste Espresso an der Autostrada in Italien. Ein kräftiger Schluck La Dolce Vita eben.“

Die Bohnen, direkt bei der Rösterei bestellt, kamen 4 Tage nach dem Röstdatum. So frisch also, dass mir klar war: Die müssen noch mindestens 10 Tage liegen und CO2 abbauen. Vom Kundenservice der Rösterei erhielt ich per Mail die Info, der „Autostrada“ sei bereits nach 14 Tagen trinkreif.
An Tag 13 war ich so neugierig, dass ich einen ersten Versuch gestartet habe.

Paranussschalenfarbene, gleichmäßig dunkel geröstete Bohnen verschiedener Größe. Kein Bruch, keine Fehler.

 

Ich hatte, wie erwartet, recht viel Schaum in der Tasse. Und darunter einen Espresso mit ausgesprochen viel Kawumm, der bereits sehr überzeugend war in seinem noch nicht ganz entfalteten warmen, runden, vollen, weichen Potential.
Ich ließ ihn weitere zwei Tage ruhen. An Tag 15 war er breiter und deutlicher geworden in seinem Aromenprofil, schäumte aber nach wie vor erheblich, so dass die eigentliche Crema noch im Verborgenen blieb. Die Begegnung war, vermutlich gepusht durch das noch immer in recht hohem Maße vorhandene Kohlendioxid, weiterhin wie eine Kollision mit einer Koffeinfaust. Daher gab ich ihm weitere 5 Tage und probierte derweil den „Crema Roma“, den ich anschließend an den „Autostrada“ beschreiben werde.

Tag 20:
Der „Autostrada“ mit seinen 70% Robusta-Bohnen ist nun trink-zahm!
13,6g, Mahlgrad 8’0“ (Apollo) – d.h. im mittleren Espresso-Mahlgrad-Bereich.

Beim Mahlen entfaltet sich ein wunderbarer, warmer, herb-nusskrokantiger, verlockender Röstaromen-Duft.

Hohe Brühtemperatur. 12 Sekunden Präinfusion, zu Beginn der PI zeigt der Temperaturstreifen noch keine 95ºC, zu Beginn des Bezuges ist die 95ºC-100ºC-Markierung gerade eben verfärbt. Keine Messung der Bezugszeit oder Grammzahl. In meiner Tasse befindet sich ein Ristretto mit ca 2mm Schaum drauf, welcher kurz darauf abgesunken ist und den Blick auf eine noch nicht ganz feinporige, haselnussbraune Crema freigibt.

Der erste Schluck:
Einfach nur Wow!
Die Basisnoten: Tiefdunkler, purer Criollo-Kakao, ähnlich dem „Cusco Chuncho 100%“ von Original Beans. Dunkles, schweres Mandelkrokant, das in mir die Erinnerung an frisch gebackene Florentiner wachruft.
Die Kopfnote ein winziger, wirklich fast verschwindender Hauch unbehandelten, getrockneten Tabaks – so, wie es duftet, wenn ganz kurz neben dir eine Tabakdose geöffnet wird.  … Vielleicht auch ein bisschen wie Heublumen.
Und dazwischen, im Herzen des Geschmacks, ein gehauchter Anklang von dieser etwas erdigeren, herberen, dunkleren Orangenhaftigkeit, der reife Blutorangen ausmacht.
Das alles in sahnig.
Geschmeidig. Enorm kraftvoll.
Himmlisch!

Unglaublich, dass dieselbe Rösterei einen Espresso produziert, der für mich den „Autostrada“ noch ein wenig toppt:

Wiederum gleichmäßig geröstete, matt glänzende, pekannuss-braune Bohnen ohne Bruch oder Fehler, die wunderbar duften.

Der „Crema Roma“ zeigt sich mir im Vergleich noch einen Tick exquisiter und vielschichtiger als sein etwas rauhbeinigerer Bruder.

Ich habe die gleichen Parameter verwendet  wie beim Autostrada.

SO lecker, bereits beim ersten Versuch (Tag 29 nach der Röstung)!
Wirklich auf den Punkt dunkel geröstet. Erneut kein bisschen grün, kein bisschen verbrannt.
Samtweich und geschmeidig. Den Gaumen umschmeichelnde, wunderbar warme Röstaromen, die mich an dunkles Karamell und frisch geröstete Haselnüsse erinnern, wie ich sie im Piemont, dem europäischen Haselnuss-El Dorado, auf dem Markt genossen habe. Buttertoast. Tiefdunkle, natursüße Kakaonoten, ähnlich der köstlichen herb-aromatischen „100 %“ von Willies Cacao aus England.
Breit klingende Obertöne von sonnengereifter, süßer, heller Sultana-Weintraube. Ein Hauch von gutem, weichem, altem Brandy, dessen Tabak-, Leder- und dunkle Brombeer- und Pflaumenmarmelade-Aromen, direkt über die Nase ihren Weg ins Genusszentrum finden …
Cremig-schmelzendes Mundgefühl.
Dieser Espresso hinterlässt in mir ein zutiefst beglückendes, warmes Wonnegefühl, das sich breit fließend im meinem gesamten Körper ausbreitet, als würde ich im Hochsommer abends, irgendwo im Süden, vielleicht am Strand von Ostia, die letzten kraftvoll ausglühenden Sonnenstrahlen tanken.

Wow! Wow! Wow!
Ein begeistertes Lob nach Aßling!

Ich vergebe gleich zweimal Frau Antjes „Tazzina d’oro“!

6 Antworten auf „„Autostrada“ und „Crema Roma“ von Martermühle“

  1. Liebe Antje, hast du wieder super beschrieben. ***** 5 Sterne. Ich habe gerade den Glory Hallelujah von der Martermühle in der Tasse. Auch der ist sicher was für deinen Geschmack.
    LG aus München
    Harald

    1. Guten Abend Enzo,
      ja, die beiden gehören zu meinen absoluten Lieblingen. Der „Impossible“ von Martermühle ist ebenso toll – der wartet noch auf eine Rezension von mir.
      Herzliche Grüße,
      Antje

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