Ein Exkurs über napoletanisch-dunkle Espresso-Röstungen

Von Fans hellerer Röstungen hört oder liest man öfter, es sei wichtig, dass der ‚eigentliche‘ Geschmack des Kaffees nicht von Röstaromen überlagert werde.

Bestimmten Leuten ist das also wichtig: Sie mögen ihren Espresso gerne mit deutlich vernehmbaren Säuren und vermehrt säurefruchtigen oder grünen Aromen. Das sei ihnen unbenommen. Es ist absolut okay, napoletanisch-dunkle Röstungen nicht so sehr zu mögen bzw. helle oder mittlere Röstungen zu bevorzugen.
Diese Vorliebe aber zu verallgemeinern und Menschen mit anderem Geschmack als „richtig“ oder „besser“ oder „anspruchsvoller“ überstülpen zu wollen, ist aus meiner Sicht höchst überflüssig, arrogant, dogmatisch – und darüberhinaus unwahr.

Napoletanische Röstungen können wahre Aromen-Feuerwerke sein. Und es gibt viele wirkliche Feinschmecker*innen, die nun mal mehr bei Caffè, wie er in den Bars von Neapel getrunken wird, ins Schwelgen geraten als bei LightRoast-Shots wie sie in den Coffee-Labs von Stockholm oder Berlin zu finden sind.

Natürlich gibt es auch Gourmets, die sich sowohl für helle und mittlere als auch für dunkle bis sehr dunkle Röstungen begeistern können. Ich persönlich z.B. finde hochwertige, helle Röstungen im Hafer-Cappuccino manchmal richtig lecker – als Shot interessieren sie mich nicht besonders. Sie erinnern mich mehr an Kräuter-Früchtetee als an Espresso – und wenn ich nun mal einen Espresso will, ist ein heller Shot nicht das, was mich glücklich macht.

Möge also bitte jeder Mensch ganz unbehelligt genau den Kaffee trinken dürfen, nach dem ihm gerade in dem Moment am meisten gelüstet!

Kommen wir zu den napoletanisch-dunklen Röstungen, denen mein Blog schließlich aus gutem Grund gewidmet ist.

Wer, wie ich, vornehmlich der napoletanischen Röstung huldigt, weiß gerade das Spektrum der Röstaromen, das die vormals in der Kaffeebohne vorhandenen Aromen teils überlagert, teils verändert, teils neu, edel und warm einkleidet, mehr zu schätzen als das, was sich vorher krudfruchtig, kühl und grün präsentierte. So, wie eben manche Menschen lieber Bratkartoffeln essen als rohe oder gedünstete Kartoffeln, und dem ‚ursprünglichen‘ Geschmack der rohen Knolle beim Verzehr keine Träne nachweinen.

(Die beiden obigen Bilder von dem LightRoast-Shot habe ich bei Tim Wendelboe in Oslo aufgenommen. Frau Antje ist durchaus neugierig, auch wenn sie ihre bisherigen Vorlieben und Leidenschaften sehr genau kennt!

Es war übrigens ein sehr weicher, überaus schmackhafter, mild-säuerlicher, aprikosen-marzipaniger Kaffee mit Noten von Assamtee. )

Das Röstaromenspektrum in süditalienischen Röstungen ist, entgegen mancher Behauptung, oftmals sehr komplex. Dabei ist es jedoch wesentlich enger gebündelt als das Spektrum von helleren Röstungen. Doch dazu später.

Lasst uns zunächst mal einen Blick darauf werfen, wie die süditalienischen Espressobohnen traditionell eigentlich geröstet werden und welches Röstbild dabei entsteht.

Was wir sehen, wenn wir eine Tüte mit süditalienisch gerösteten Bohnen öffnen, ist ein sogenannter Italian Roast oder, wenn die Bohnen noch einen Tick dunkler sind, ein Spanish Roast. Was bedeutet das?

Ein ITALIAN ROAST wird bei 245-248 °C geröstet (Man nennt ihn auch: Dark French oder Neapolitan Roast, was allerdings ungenau ist, denn auch der noch dunklere Spanish Roast, der bei etwas längerer Röstzeit und 250ºC entsteht, wird mitunter als Neapolitan oder Dark French Roast bezeichnet). Die Bohnen werden bis in die erste Hälfte des zweiten Knackens (Cracks) hinein geröstet. Alle Zucker, die in den Bohnen enthalten sind, haben sich zu diesem Zeitpunkt bereits karamellisiert.
Die Bohnen weisen ein intensives, kräftiges Dunkelbraun und eine stark glänzende, fettige Oberfläche auf, die dadurch zustande kommt, dass bei den hohen Rösttemperaturen die Zellwände der Bohnen porös werden und vermehrt Kaffeeöle austreten. Es sind ausgeprägte Röstaromen zu schmecken und zu riechen, Säuren hingegen sind nur noch als verschwindender Hauch oder gar nicht mehr spür- und schmeckbar.

250ºC SPANISH ROAST:

Der Röstprozess wird deutlich nach dem zweiten Knacken (Crack) gestoppt. Der Abbau der karamellisierten Zucker hat bereits begonnen. Die Oberfläche der Bohnen ist schwarzbraun und noch immer glänzend. Es dürfen bei einem guten Spanish Roast keine verkohlten Stellen zu sehen und die ausgetretenen Kaffeeöle dürfen noch nicht wieder verschwunden (verbrannt) sein! Beim Spanish Roast ist keine Säure zu schmecken.

(Die genannten Rösttemperaturen sind mit Vorsicht zu genießen und nur als grobe Richtwerte zu betrachten! Jede Kaffeeröstmaschine hat einen eigenen Temperaturverlauf, was damit zusammenhängt, dass die verwendeten Materialien und die zu erhitzenden Massen unterschiedlich sind und die Messsensoren für Bohnentemperatur und Ablufttemperatur sich an unterschiedlichen Stellen befinden. Ein gusseiserner Röster braucht viel länger zum Aufheizen, hält die Temperatur aber auch konstanter. Röstmaschinen, die überwiegend mit Konvektionshitze (Übertragung durch heiße Luft) arbeiten, haben einen anderen Verlauf als Röstmaschinen, die mit Konduktionshitze (Übertragung durch Kontakt mit der heißen Trommel) arbeiten. So viel zusätzliches Insiderwissen am Rande. Herzlichen Dank an den Hobby-Röster Christopher Schmitz für die erhellenden Ergänzungen!)

Eine gute dunkle Röstung nach süditalienischer Art ist nicht verbrannt, sondern meisterhaft dunkel geröstet. Eine Öligkeit der Bohnen ist bei napoletanischen Röstungen normal und richtig.

Napoletanische Röstungen haben nichts Grünes mehr im Geruch und Geschmack – und das soll genau so sein! Manche napoletanische Röstungen weisen noch Spuren von Restsäure auf, die meisten sind jedoch geschmacklich komplett säurefrei. Das ist zum einen für Menschen mit empfindlichem Magen viel bekömmlicher. Und vielen Espressogenießer*innen schmeckt es eben auch
besser als ein Espresso, der deutliche Säuren im Profil hat. So trinken 99% der Menschen in Süditalien ihren Caffè! Wer will ihnen erzählen, das sei ‚falsch‘?!

Man kann bei Röstaromen eine erste, grobe Einteilung vornehmen in: Nussig, karamellig, schokoladig, marmeladig-dörrobstig, würzig, holzig, rauchig, ledrig, mikrobiologisch, tabakig, brotig.

Und damit fängt es erst an!

Denn nussig kann Vieles sein. Es gibt eine Menge verschiedener Nüsse.

Und ich würde durchaus auch manche Samen unter ‚Nussigkeit‘ einsortieren. Nussig kann also nach Paranuss, Walnuss, Pekannuss, Haselnuss, Cashew, Pistazie, Pinien- oder Zedernkern, Macadamia, Mandel, Aprikosenkern, Kürbiskern, Maronen, Sonnenblumenkern, Buchecker …

… nach schwarzem oder hellem Sesam, nach Buchweizen (ein Knöterichgewächs), Leinsamen, Hanfsamen, Erdmandel oder nach Erdnuss (ja, das ist eine Hülsenfrucht) … schmecken.

Karamellig …

… kann dunkelkaramellig, mittelkaramellig, hellkaramellig, nach Fruchtsirup oder Ahornsirup, nach Reismalz oder Gerstenmalz, nach einem der unzähligen Honige, nach Marzipan, Amarettino, braunem Zucker, Melasse, Granatapfeldicksaft (‚Nar‘ – gibt es in türkischen Läden), Birnendicksaft, Agavendicksaft oder nach Popcorn schmecken.

Und jede einzelne Nussigkeit kann mit jeder Form von Karamelligkeit eine – oftmals als krokantig wahrzunehmende – süß-betörende Verbindung eingehen.

Zu Schokoladigkeit sollte man bedenken, dass Kakao zu den aromenreichsten Nahrungsmitteln überhaupt gehört.

Es wird davon ausgegangen, dass Kakao zwischen 300-500 aromatische Verbindungen enthält, also mindestens so viele oder sogar noch mehr als beispielsweise Wein in sich birgt. Und fast so viele wie Kaffee, dem man bekanntlich bis zu 800 verschiedene Aromen zuschreibt.

Wer dunkle Schokolade mit gerne auch mal 100% Kakao-Anteil mag, weiß, dass eine ‚Il 100%‘ von Domori sich geschmacklich sehr anders ausnimmt als eine Åkesson’s ‚Madagascar Ambolikapiky 100% Criollo‘, eine François Pralus ‚Le 100% Criollo‘, eine Bonnat Noir ‚100% Cacao‘, eine Labooko ‚100% Peru‘ oder eine Original Beans ‚Cusco 100%‘. Wobei all die Genannten tolle Schokoladen sind, die ihr wirklich mal probieren solltet, falls das noch nicht geschehen ist.
Kakao ist wahrlich nicht gleich Kakao – es gibt viel zu entdecken. Auch in der sogenannten Schokoladigkeit von Espresso liegt ein Universum an Möglichkeiten verborgen.

Kommen wir zu marmeladig-dörrobstig.

Hier erlaube ich mir, einen Auszug aus einer meiner Espressoverkostungen einzufügen:

„Früchte können halt reif oder unreif sein. In aller Fülle sonnenangereichert oder im Lager blass nachgereift. Explizit sauer, zusammenziehend und durchrüttelnd wie Zitronen – die natürlich auch noch viele andere Aromen in sich bergen – oder wie harte Kiwis oder unreife Stachelbeeren. Mild-säuerlich und fast schon parfümiert wie Litschis. Langweilig schal wie diese roten, leicht säuerlichen Pflaumen, meist aus Spanien, die aromatisch meist unentschieden bleiben und deren saftarmes, dumpfknarzendes Fruchtfleisch in hiesigen Regalen nicht reif wird, sondern tendenziell gleich braun. Säuerlich-sanft aromatisch und zugleich voller schwerer Süße, wie Waldheidelbeeren oder Zwetschgen, die schon fast vom Baum fallen vor Spätsommertrunkenheit. Eingleisig zuckrig wie die perfekt glänzenden Persimonen, denen alles weggezüchtet wurde, was Kakis, die Ursprungsfrüchte, interessant und lecker macht. Oder auf eine warme, umfassende, komplexe, nährende, breite, ausfüllende, tief klingende Weise süß. So, wie eben reife, schon fast matschige, vollaromatische Kakis. Wie richtig guter Kakao, der keinen extra Zucker braucht. Und wie ein wirklich erlesener, meisterlich dunkel gerösteter Espresso.“ Ich möchte noch hinzufügen, dass das Marmeladig-Dörrobstige manchmal sogar etwas ins Likörige geht. Das kann sehr köstlich sein!

Würzigkeit …

… kann bedeuten, dass der Espresso etwas strenge Noten hat, z.B. von Liebstöckel oder Wacholder. Er kann eine pfeffrige Schärfe haben – wobei es ja diverse Sorten von Pfeffer gibt. Oder eher eine Süße wie von Vanille, Gewürznelken, Süßholz oder Zimt mit ihren jeweiligen deutlichen Eigenheiten. Vielleicht hat er auch das Harzig-Süße von Muskatnuss oder das Zartbitterkaramellig-Blumige von Muskatblüte.

Bei holzigen Aromen dürfte klar sein, dass beispielsweise nasses Buchenholz andere aromatische Komponenten in sich birgt als nasse Moor-Birke.

Und nochmal andere als trockene Meereskiefer, als sommerlich-warmes, junges Eichenholz, als ein moosiger Erlen-Baumstumpf, als ein alter Birnbaum oder als Fichtenholz-Sägespäne.

Rauchigkeit …

… kann sich wunderbar in einen Aromenteppich einfügen und ich möchte sie von Aschigkeit abgrenzen, die in meinem Espresso nichts zu suchen hat.

Ledrigkeit …

… hat etwas Animalisches. Auch hier könnten wir uns daran machen, zu differenzieren, wenn wir wollten. So weit geh ich in meinen Verkostungen in der Regel nicht.

Unter mikrobiologisch verstehe ich erdige Aromen. Waldboden.

Kompost- und Stallaromen. Lehm. Ton. Torf. Harz. Butter. Joghurt und Kefir. Miso und Sojasauce, von denen es viele Varianten gibt. Pilze.  …

Und Blütenpollen …

Die Welt der Tabake …

… dürfte ähnlich viel zu entdecken bieten, wie die Welt der Kaffees, der Weine, der Whiskeys oder der Schokoladen. Ich gebe zu, ich kenn mich mit Tabak nicht gut aus. Ich kann einen Virginia nicht von einem Havanna, einem Sumatra oder einem Badischen Geudertheimer unterscheiden – nicht, weil ich die Unterschiede nicht riechen oder schmecken könnte, sondern weil ich nicht wüsste, zu welcher Sorte ich das zuordnen soll, was ich da wahrnehme. Wozu es bei mir reicht, ist blond oder schwarz. Pfeife, Zigarre oder Zigarette. Feucht oder trocken. Und dann kann ich natürlich rumassoziieren, was das Zeug hält und meine Sinneseindrücke mit diesen Assoziationen beschreiben. So Richtung himbeeriger Tabak mit Propolisnoten und etwas Blasentang. Darüberhinaus fehlen mir indessen das Wissen, die Übung und auch das spezielle Interesse für Tabak, weswegen ich es anderen überlasse, sich kundiger über diese Noten im Espesso auszulassen. (Ähnlich geht es mir mit Wein, Bier und Whiskey.) 

Zuguterletzt die Spanne der Möglichkeiten von Brotigkeit …

… Die muss im Land der Brotvielfalt wohl nicht weiter erörtert werden.

All das und noch viel mehr an Aromennuancen und Geschmacksfacetten kann man in napoletanisch-dunklen Röstungen antreffen. Jede gute süditalienisch geröstete Bohnenmischung ist einzigartig, je nach Komposition.

Ei hatte ich oben gar nicht genannt, fällt mir gerade ein. Das ist eigentlich eine weitere Kategorie. Ein Espresso kann an Crème Brûlée erinnern. An Tiramisù. An Zabaione. Oder einfach an hartgekochtes Freiland-Eigelb. …  STOP!!! Nu is ma gut, Frau Antje! 

Ihr seht: Das Thema ist unergründlich und napoletanisch-dunkle Röstungen sind alles andere als anspruchslos in ihrem Aromenbukett. Dieses ist allerdings meistens wenig aufgespreizt. Die einzelnen Aromenkomponenten liegen enger beieinander und sind daher nicht so leicht voneinander zu unterscheiden, wie die einzelnen Aromen von helleren Röstungen. Daher fällt sensorisch ungeübten Menschen zu dunklen Röstungen oft nicht viel mehr ein, als die oben beschriebenen Begriffe aus ihrer Aromen-Grundeinteilung (karamellig, schokoladig, brotig etc.).

So weit, so gut. Lasst uns zum Ende kommen für heute.

Als nächstes könnten wir uns noch die unterschiedlichen Dunkelaromen-Spektren von Arabica- und Robustabohnen vorknöpfen – das kommt dann ein anderes Mal dran. Lasst euch euren Espresso schmecken!

 

 

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