„St. Pauli Deathpresso Bio“ von Deathpresso

Heute möchte ich euch einen Espresso aus meiner Nachbarschaft vorstellen, der mich beim Verkosten als erstes hat denken lassen:

„Schoko pur. Einfach nur tiefdunkle Edelschokolade. Ohne Schnörkel.

SCHO KO LA DE.  Punkt.“

Das klingt vielleicht erstmal nach wenig Komplexität – aber seid euch gewiss:    Dem ist nicht so!

Die Komplexität liegt hier nicht um die Schokoladigkeit herum, sondern inmitten der Schokoladigkeit.
Stop. Eins nach dem anderen.

Mein heutiger Espresso-Gast im Studio heißt: „St. Pauli Deathpresso Bio“ von der kleinen Hamburger Rösterei Deathpresso.

Um es hinter mich zu bringen, gleich zu Beginn mein einziges bisschen Bemängelung an Deathpresso:
Das Design und der Name sprechen mich spontan so gar nicht an, wenngleich die schwarze Papier-Verpackung mit dem weißen Totenschädel-Tassen-Logo sicherlich einen hohen Wiedererkennungs-Wert hat – und natürlich Geschmackssache ist.
Der Slogan „Schlafen kannste, wenn du tot bist“ klingt im ersten Moment frech und witzig. Wer allerdings mal eine Zeit lang unter echten Schlafstörungen gelitten hat, so wie ich, oder bedauerlicherweise noch darunter leidet, zuckt wahrscheinlich eher zusammen. Denn ausreichend schlafen zu können, ist ein wahrer Segen, und die Erinnerung an eine Serie von schlaflosen Nächten wahrlich keine witzige.
Doch das nur als Notiz ganz am Rande. Denjenigen, die, wie ich, beim Lesen des Werbespruches erstmal Unwohlsein assoziieren, oder deren buntgestimmter Sinn für Ästhetik, angesichts der zu erblickenden Düsternis, auf Weitergehen (oder – klicken) plädiert, möchte ich dringend raten, sich von der Hülle nicht täuschen zu lassen.
Der Inhalt lohnt sich!

Ich rezensiere den „Deathpresso Bio“, weil er mir außerordentlich gut schmeckt und ich ihn sehr besonders finde.

Er setzt sich zusammen aus 60% verschiedenen südamerkanischen Arabicabohnen und 40% gewaschenem indischem Robusta.

Thomas Haack, der Röster, war bereit, uns mehr zu erzählen über die im „Deathpresso Bio“ verwendeten Bohnen, über Anbau-Hintergründe, und über die Hürden bei der Suche nach geeigneter Bio-Rohware, die daraus erwachsen:

»Espressi sind immer Kaffeemischungen und keine sortenreinen Kaffees.
Das hat etwas damit zu tun, dass ein Espresso geschmacklich eine Fülle
(in der Fachsprache „Körper“) braucht und natürlich auch die Crema. Das
schafft kein einzelner Kaffee. Beim Espresso-Blend sagt man „Alle guten
Dinge sind drei“.

Unverzichtbar ist ein hoher Brasil-Anteil (wenn man der italienischen
Lehre folgt), und die gibt es in Europa nicht mehr.

Unbeachtet vom deutschen Verbraucher gab es in Brasilien einen
Glyphosat-Skandal. Durch die räumliche Nähe zu den konventionellen
Plantagen gelangte Glyphosat auf die Bio-Kaffeeplantagen.

Das veranlasste die EU zur Kontrolle JEDES EINZELNEN Containers mit
Biokaffee aus Brasilien und siehe da, überall wurde Glyphosat entdeckt.
Der Kaffee durfte nicht in die EU eingeführt werden und musste zu
konventionellem Kaffee umdeklariert werden.

Das typische nussige und würzige Brasilaroma war plötzlich aus allen
Bio-Espressi in Europa verschwunden. Hmm, merkt das der Verbraucher? Und
ob! Unser Bio-Espressi-Verkauf sank um ca. 10% in drei Monaten.

Was tun? Alle Kontakte im Rohkaffeehandel ausschöpfen! Und so entsann
ich mich eines Rohkaffeehändlers den ich vor vielen Jahren kennengelernt
hatte und der nur direkt  Spezialitätenkaffees importiert.

Er führt Kaffee von einer brasilianischen Demeter-Plantage, die weit
genug weg vom Glyphosat-Geschehen ist… Bingo! Ein hervorragendes
Tassenprofil.

Und das war noch nicht alles: Seit Jahren suchte ich nach einem
hochwertigen gewaschenen Robusta, der ein viel saubereres Robusta-Aroma
hervorbringt als die trocken aufbereiteten Robustas. Und nochmal Bingo,
den hatte er auch, einem Parchment AB aus Indien, ebenso ein
fantastisches Tassenprofil.

Das Gute an diesen beiden Kaffees ist auch, dass die Verfügbarkeit sehr
begrenzt ist. Oft wird davon nur ein Container pro Jahr (ca 230 Sack)
importiert, mehr gibt es davon nicht. Und das ist perfekt für kleine
Röstereien wie für uns.

Ich habe dann ganz schnell einen Kontrakt abgeschlossen der mich
mindestens bis Herbst eindeckt…..«

Ganz herzlichen Dank, Thomas, für deine interessanten Ausführungen und die Einblicke in dein Rösterhandwerk!

Was ist da also jetzt, aus meiner sinnlichen Perspektive, in der Tüte? Samtig-dunkelbraune, gleichmäßig geröstete Bohnen ohne Fehler oder Bruch, die angenehm würzig-schokadig nach warmen, weichen Röstaromen duften.
Gemahlen gesellt sich dem Duft eine winzige Nuance Cassis, also schwarze Johannisbeere hinzu. Mehr das Blatt als die Frucht.

Mit der Handmühle Kinu M47 Phoenix erziele ich das beglückendste Ergebnis bei Mahlgrad 2’8“0“‘ – das ist recht fein.

Bohnenmenge: 13,9g.

Der „Deathpresso Bio“ verträgt es gut, ja, verlangt geradezu danach, langsam tropfend durchzulaufen. Diese Zeit nutzt er, um sich voll zu entfalten.

Brühtemperatur: Hoch (95ºC).

In der Tasse zeigt er sich dunkelrötlichbraun, wie der Korpus der meisten Konzertgitarren. Ein betörender, dunkler Kakaoduft, durchwoben von der herben Fruchtigkeit schwarzer Johannisbeere, nun tatsächlich eher der Frucht als des Blattes.

Schon beim ersten Nippen fühle ich mich vordergründig an
Åkessons „Madagascar Bejofo Estate“ aus 100% Criollo-Kakao erinnert. Meinen persönlichen Schokoladigkeits-Prototypen.

Wer in das Thema Schokoladigkeits-Prototyp nun nicht weiter eintauchen möchte, möge bis nach dem Kursivgeschriebenen weiterscrollen.

Was macht diese spezielle Prototypen-Schokoladigkeit für mich aus? Kakao ist ja nicht gleich Kakao! Edelkakao ist genauso prall voller Aromen und präsentiert sich genauso unglaublich kompex und vielfältig wie richtig guter, schonend gerösteter Kaffee. Von „Schokoladigkeit“ und gar von einem Schokoladigkeits-Prototypen zu sprechen, kann also nur ein Versuch sein, etwas überaus Vielgestaltiges auf einen gemeinsamen Nenner herunterzubrechen.

Kaffee wie Kakao können bekanntlich ein sehr weit aufgespreiztes Aromenspektrum haben. Oder, im Gegensatz dazu, ein Aromenspektrum, das eher in einer Art Aromen-Cluster gebündelt ist.
Je nach Röstgrad der Kakao- oder Kaffeebohnen, kann so ein Aromen-Cluster mehr im fruchtig-säuerlichen, mehr im röstaromenbetonten Bereich, oder irgendwo dazwischen liegen.

Was ich unter einem Schokoladigkeits-Prototypen verstehe, genau genommen unter einem Dunkel-Schokoladigkeits-Prototypen, ist ein recht eng zusammengerafftes Kakao-Aromen-Bündel,  röstaromendeutlich, doch -mild, süßebetont, sich in sahnig-dunkler Gefälligkeit wiegend, ohne große Ausschläge in Richtung säuerlicher Fruchtigkeit, zusammenziehender Bitterkeit oder beißender Rauchigkeit.
Das heißt nicht, dass mein Prototyp sich aus nur wenigen Aromen zusammensetzt. Sondern dass etliche, durchaus unterscheidbare Aromen dicht beieinander liegen. Diese könnten theoretisch nussig, erdig, torfig, lakritzig, karamellig, kandiert, trockenfruchtig, marmeladig, tabakig, maronig, brotig, malzig, sirup- oder honigartig, pollenartig, marzipanig, buttrig, cognac-, armagnac-, portwein-, marsala- oder likörartig, geharzt, oder, in der einen oder anderen Art, holzähnlich sein.

Dunkel, schwer und satt in jedem Fall. Jenseits von aufwühlender Schrilligkeit. Nicht unbedingt bescheiden, sondern vornehm, geradlinig, ruhig und tief.

Soweit mein Exkurs in Sachen Schokoladigkeits-Prototyp.

Vordergründig also madegassischer Criollo-Kakao – um zum „“ St. Pauli Deathpresso Bio“ zurückzukehren:    Angenehm herbbitter-erdig mit einer sehr zurückhaltenden, zutiefst süßen, fast schon kandiert wirkenden Zitrusfruchtigkeit. Am ehesten Honey-Pomelo. Hinzu kommt, mit wenig Verzögerung, ein Hauch von Cassis-Likör, der in Süße badenden Essenz der Schwarzen Johannisbeere. Dann eine Note von Gianduia, das in dieser Komposition nicht, wie gewohnt, eine perfekt balancierte Verschmelzung von gerösteten Haselnüssen mit edlem Kakao ist. Denn statt der Haselnüsse hat die Pâtissière sich hier die Zutat gerösteter Zedernkerne erlaubt, die eine buttrige, leicht süße, ganz zarte Harzigkeit in sich bergen.

Durch und durch wärmend, einhüllend, besänftigend. Was will mensch mehr an einem frühlingshaften, sonnigen Samstagnachmittag?

Diese Espressomischung ist eine ganz wunderbare Entdeckung!

Ein dickes Lob an Thomas Haack!

4 Antworten auf „„St. Pauli Deathpresso Bio“ von Deathpresso“

  1. Deathpresso. Da denke ich zuerst an den Spruch „Vedi Napoli e poi muori“. Nun, der kann ja offensichtlich mit neapolitanischen Röstungen mithalten.

    1. Lieber Harald, guten Morgen!
      Ach, wie gerne führe ich demnächst mal wieder nach Bella Napoli – ich hoffe sehr, dass Madame Corona Italien und den Rest der Welt bald frei gibt!
      Der „St. Pauli Deathpresso Bio“ ist ein sehr toller Espresso – aber für einen Napoletaner singt und jubiliert er nicht genug. Seine Qualitäten liegen, bei aller schokowuchtigen Dunkelheit (wenngleich nicht Schwärze!) doch eher im zurückhaltend hanseatischen Spektrum. Was ihn keineswegs herunterstufen soll! Er ist nur eindeutig verhaltener im Temperament 🙂
      Herzliche Grüße aus der Hansestadt,
      Antje

  2. Hallo Antje,

    Danke für die Rezession! Da werde ich morgen doch mal einen kleinen Trip zu Deathpresso machen. Ich hoffe die können den auch so gut zubereiten wie du.

    Gruß
    Friedhelm

    1. Moin Friedhelm,
      meinst du, Cafés dürfen ab morgen wieder geöffnet haben? Das wäre ja großartig für alle Café-Betreiber!
      Ich drück dir die Daumen, dass du einen tollen Espresso bekommst!
      Herzliche Grüße,
      Antje

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