„India Royale“ von Supremo

Supremo „India Royale“ (80% Arabica/20% Hochland-Robusta) – ein sehr freundliches Geschenk von Rene Koch an Frau Antje.

Erste Eindrücke nach zwei Bezügen (La Pavoni Handhebelmaschinen Premillennium Professional und Premillennium Europiccola – 14,2 g – 2’8“0“‘ Kinu M47 Phoenix – 96,5ºC Brühgruppen-Temperatur zu Beginn der Bezüge):

Beeindruckender, interessanter Espresso, dem die hochwertigen Bohnen und die gekonnte Röstung sofort anzumerken sind.
Sensorisch kann ich der Supremo-Beschreibung in vielen Teilen zustimmen: Er ist süß, weich und würzig. Das Wort „aromatisch“ finde ich etwas problematisch, da ich grundsätzlich schon erwarte, dass aus einem guten Espresso Aromen herauszuschmecken sind. Melasse, also dunkler Zuckersirup, und Muskat sind für mich zutreffend: Der „India Royale“ hat tatsächlich was von dieser schwer-süßen, lebkuchengewürzigen Lakritzigkeit, die Melasse eigen ist. Und auch das leicht Harzig-Balsamische von Muskatnuss kann ich in Anklängen herausschmecken. Ebenfalls kann ich Honigwabe, also Honig samt Wabenwachs, wiedererkennen. Am ehesten Waldhonig. Die Wachs-Würzigkeit und das Balsamische der Muskatnuss haben große Überschneidungen. Dunkles Karamell lehnt sich geschwisterlich an Melasse. Darüberhinaus hat dieser Espresso etwas, wofür ich in meinem Schmeckgedächtnis ein Weilchen kramen musste: Es ist eine aprikosenähnliche Fruchtigkeit – aber eher die leicht pelzigen, schmalen, verhalten klingenden Noten von nicht ganz sonnengereiften Früchten. Also durchaus ein ganz zarter, angenehmer Hauch von Säure. Plus ein Hauch von grüner Bohne. Und eine winzige Prise Steinsalz.
Kakaonoten nehme ich weder vorder- noch hintergründig wahr.
Der Abgang ist anhaltend rund. Warme, waldwürzige Lakritzigkeit hallt lange nach.
Lecker !

„Black Queen“ von der Hollfelder Kaffeemanufaktur

Heute möchte ich euch einen sortenreinen 100% Robusta/Canephora-Espresso aus Uganda vorstellen, von dem ich ausgesprochen angetan und positiv überrascht bin:

„Black Queen“ von der Hollfelder Kaffeemanufaktur in Oberfranken.

Wie immer gilt: Wer gleich zur eigentlichen Verkostung eilen möchte, möge nach unten scrollen bis dorthin, wo ein fettgedrucktes „Verkostung“ zu finden ist.

Für alle anderen habe ich zuvor einiges an Informationen zum Herkunftsland, den Kaffeehändlern und ihren Ansätzen und Projekten, der Rösterei und zur Anbau-Methode zusammengetragen.

Die Grundlage der „Black Queen“ sind sonnengetrocknete („natural aufbereitete“) Robusta-Bohnen der Varietät Nganda aus der Region Masaka in West-Uganda.

Anbauhöhe: 1100-1300m.

Uganda, so habe ich bei der Recherche gelernt, ist der zweitgrößte Kaffee-Exporteur Afrikas.

Das Land führt jährlich rund 225.000 Tonnen Rohkaffee aus, was ungefähr ein Viertel der gesamten ugandischen Exporteinnahmen ausmacht. 80% davon sind Canephora-Varietäten (Robusta) und 20% Arabica.

Zu 90% werden die Kaffees von Kleinbauern angebaut.

Die Robusta-Rohbohnen für die „Black Queen“ werden von „GERUGA coffee“ bezogen, einem kleinen Kaffeehandel mit Sitz im nordhessischen Vellmar bei Kassel, der, so entnehme ich es der GERUGA-Website, Rohkaffees von Kleinbauern im direkten Handel aus Uganda importiert. Dabei werde besonderer Wert auf Transparenz, Fairness und Qualität gelegt.

Einer der Mitarbeiter des dreiköpfigen Teams, Vincent Mulindwa, ist in Uganda geboren und aufgewachsen.

„Auf der Suche nach außergewöhnlichen, hochqualitativen Kaffees“, so lese ich mit Interesse weiter, „sind wir quer durch Uganda gereist und haben viele Kaffeefarmerinnen und Kaffeefarmer kennengelernt und deren Plantagen besucht.

Die meisten beklagen die selben Probleme: Neben den fortschreitenden Klimaveränderungen, sind die lokalen Marktpreise für Kaffee so niedrig, dass viele von dem Kaffeeanbau allein nicht mehr leben können. Sie sind gezwungen, alternative Agraprodukte für den Verkauf mit anzubauen und können dem Kaffee nicht mehr die notwendige Aufmerksamkeit bieten.

GERUGA möchte das ändern und den Farmerinnen und Farmern ermöglichen, ihr oftmals über mehrere Generationen übermitteltes Wissen, mit den Voraussetzungen für Spezialitätenkaffees, zu kombinieren.

Wir bezahlen die Kaffeefarmerinnen und -farmer fair für ihr aufwändiges Handwerk und erhalten dafür ein hochqualitatives Produkt.

Von einem Teil der erzielten Einnahmen, fördern wir neben den Produzenten  auch Projekte in den jeweiligen Regionen, aus  denen wir unsere Kaffees  beziehen.“ (Zitat aus der GERUGA-Website https://www.geruga.de)

Klingt nach einem tollen, unterstützenswerten Direct-Trade-Projekt, vorbei an großen Zwischenhändlern und dubiosen Fairtrade- und Bio-Siegeln.

Besonders wunderbar finde ich, dass der Kaffee nachhaltig in Permakultur in kleinen Bauerngärten, zwischen Bananenstauden, Kakao- und Papayabäumen und anderen Pflanzen, angebaut wird.

Der Begriff Permakultur löst echte Freude in mir aus, weswegen ich ein paar Extra-Zeilen darüber loswerden möchte:

In den 1970er Jahren als nachhaltiges, ökologisches, visionäres Gestaltungskonzept entworfen, hat sich Permakultur inzwischen von einer landwirtschaftlichen Gestaltungsmethode zu einer ökologischen Lebensphilosophie und einer weltweiten Graswurzelbewegung entwickelt, der ich mich von Herzen verbunden fühle.

Die Idee hinter dem Begriff „Permakultur“ ist eine durch und durch ganzheitliche: Mit der Natur im Einklang zu leben anstatt gegen sie (einschließlich dessen, was wir gewöhnlich vom Begriff „Leben“ trennen, und mit „Arbeit“ bezeichnen). Es wird explizit auf Monokulturen und den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide und Düngemittel verzichtet. Die natürliche Artenvielfalt soll durch Ansiedlung und Kultivation unterschiedlicher Pflanzen und Tiere unterstützt und gefördert werden.

An dieser Stelle möchte ich der Tradition meines Blogs weiter folgen, und den Menschen, der die getesteten Bohnen geröstet hat, selbst zu Wort kommen lassen. Voilà:

„Kaffeebohnen direkt vom Bauern, schonend geröstet und fair (auch ohne Siegel) gehandelt. Am wachsenden Kaffeemarkt findet sich diese Philosophie heutzutage nur noch selten wieder. Wir, Sonja Gmünd, Marion Deinlein und Wolfgang Bornschlegel von der Rösterei Garten-Cafe aus Hollfeld im Herzen von Oberfranken, haben dem „Industrie-Kaffee“ den Kampf angesagt und uns für fairen Handel und traditionelles Rösten in der Trommel entschieden.

Es ist die Liebe zum Kaffeetrinken, die uns antrieb, eine eigene, kleine Rösterei zu betreiben. Dabei ging es vor allem darum, den Kaffee dort zu erwerben, wo er seinen Ursprung hat, nämlich direkt bei den Bauern. Ein persönlicher Kontakt nach Afrika, genauer nach Kamerun, diente als Türöffner. Seit der Gründung vor rund 6 Jahren hat sich der Betrieb stetig vergrößert. Unsere Lieferanten kennen die Bauern im Ursprungsland persönlich und tauschen sich regelmäßig mit ihnen aus. Beide haben ein gemeinsames Ziel: direkt gehandelten Kaffee und höchstmögliche Kaffeequalität. Neben dem Onlinegeschäft beliefern wir heute auch Büros, Groß- und Einzelhändler in der Region Oberfranken.“

Herzlichen Dank, Wolfgang Bornschlegel.

Und nun zur Verkostung:

Sämtliche Espressi aus diesen Bohnen wurden in der La Pavoni Professional mit IMS-Duschsieb und – Sieb bezogen.

Die Charge wurden am 18.3.20 geröstet.
Die Bohnen sind leicht dunkelbraun (Röstgrad schätzungsweise Viennese/Light French), farblich Richtung Paranuss.

Duft: Warm-röstig, karamellig, süß.

Erster Bezug am 17. Tag nach dem Röstdatum:

13,7g, Mahlgrad Kinu M47 Phoenix 2’8“2“‘,

93ºC, 3 Schluck out nach Augenmaß.

Wow! Auf Anhieb saulecker!
Sehr weich, den Brustkorb durchwärmend und weit machend.
Vordergründig leicht gedunkeltes Karamell und etwas geröstete Walnuss. Mitschwingend: Sanfte Criollo-Schoko-Noten, flüssige Sahne und ein winziger Hauch von vollreifer, süßer, schwerfruchtiger Mango.
Ein langer, warmer, wunderbar besänftigender Nachklang, sowohl im Gaumen als auch im ganzen Körper.

Nach einer Woche fast täglicher Bezüge, bei leicht variierten Parametern (so weit es eben mit einer Diva möglich ist, von genauen Ausgangswerten zu sprechen):

Vordergründig weiterhin leicht gedunkeltes Karamell und etwas geröstete Walnuss. Hinzu kommen nach wie vor sanfte Criollo-Schoko-Noten und eine wunderbare, milde Sahnigkeit.

Und dann diese changierenden, schillernden Fruchtnoten!
Sie ändern sich interessanterweise von Mal zu Mal, was höchstwahrscheinlich auch abhängig ist von der Brühtemperatur. Anfangs gab es Anklänge von vollreifer Mango, zwischendurch kam mir, bei ca. 94-95ºC, vollreife Birne in den Sinn, und bei noch höherer Brühtemperatur (mein Brühgruppen-Thermometer zeigt zu Beginn des Bezuges 96,8ºC an, was sich während des Bezuges noch steigert) klingt süßer, reifer, roter Apfel durch.

Der lange, warme, besänftigende Nachklang, sowohl im Gaumen als auch im ganzen Körper bleibt bestehen
Bemerkenswert finde ich die thermischen Eigenschaften dieses 100% Robusta: Er kann sowohl wärmen, was sich bei kühleren Außentemperaturen zeigt, als auch sehr sanft kühlen, wenn es draußen eher warm bis heiß ist.

Verkostungen bis zur vierten und fünften Woche nach Röstdatum:
Insgesamt ist bei der „Black Queen“ ein komplexes, deutlich aufgespreiztes Aromenspektrum wahrnehmbar.
Leicht dunkles Karamell und eine Spur von gerösteter Walnuss bleiben im Vordergrund. Sanfte Noten von edlem Criollo-Kakao, dessen leicht malzige Schokoladigkeit eine zurückhaltende und dennoch tragende Hauptrolle inne hat.
Milde Sahnigkeit. Weiterhin etwas an frisches Gras Erinnerndes. Ein lieblicher Hauch von Apfelblüte.
Von den bereits genannten Fruchtnoten ist der süße, reife, rote Apfel insgesamt am häufigsten hervorgetreten.
Jedes Mal ein langer, warmer, besänftigender Nachklang, balancierend zwischen wärmend und kühlend.
(Kirsche, wie im Datenblatt beschrieben, konnte ich hingegen nicht herausschmecken. Sensorische Wahrnehmung ist eben individuell unterschiedlich nuanciert.)
Die Aromen-Schwingungen bewegen sich für mein Empfinden zwischen singend und stumpf.

Ein überaus wohlschmeckender, ungewöhnlicher, komplexer und bekömmlicher Espresso, der obendrein mit gutem ökologischem und sozialem Gewissen getrunken werden kann! Jede einzelne Tasse war für mich etwas ganz Besonderes und ein wirklicher Genuss!

Frau Antje verleiht der „Black Queen“ voller Überzeugung ihre „Tazzina d’Oro“!

 

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„St. Pauli Deathpresso Bio“ von Deathpresso

Heute möchte ich euch einen Espresso aus meiner Nachbarschaft vorstellen, der mich beim Verkosten als erstes hat denken lassen:

„Schoko pur. Einfach nur tiefdunkle Edelschokolade. Ohne Schnörkel.

SCHO KO LA DE.  Punkt.“

Das klingt vielleicht erstmal nach wenig Komplexität – aber seid euch gewiss:    Dem ist nicht so!

Die Komplexität liegt hier nicht um die Schokoladigkeit herum, sondern inmitten der Schokoladigkeit.
Stop. Eins nach dem anderen.

Mein heutiger Espresso-Gast im Studio heißt: „St. Pauli Deathpresso Bio“ von der kleinen Hamburger Rösterei Deathpresso.

Um es hinter mich zu bringen, gleich zu Beginn mein einziges bisschen Bemängelung an Deathpresso:
Das Design und der Name sprechen mich spontan so gar nicht an, wenngleich die schwarze Papier-Verpackung mit dem weißen Totenschädel-Tassen-Logo sicherlich einen hohen Wiedererkennungs-Wert hat – und natürlich Geschmackssache ist.
Der Slogan „Schlafen kannste, wenn du tot bist“ klingt im ersten Moment frech und witzig. Wer allerdings mal eine Zeit lang unter echten Schlafstörungen gelitten hat, so wie ich, oder bedauerlicherweise noch darunter leidet, zuckt wahrscheinlich eher zusammen. Denn ausreichend schlafen zu können, ist ein wahrer Segen, und die Erinnerung an eine Serie von schlaflosen Nächten wahrlich keine witzige.
Doch das nur als Notiz ganz am Rande. Denjenigen, die, wie ich, beim Lesen des Werbespruches erstmal Unwohlsein assoziieren, oder deren buntgestimmter Sinn für Ästhetik, angesichts der zu erblickenden Düsternis, auf Weitergehen (oder – klicken) plädiert, möchte ich dringend raten, sich von der Hülle nicht täuschen zu lassen.
Der Inhalt lohnt sich!

Ich rezensiere den „Deathpresso Bio“, weil er mir außerordentlich gut schmeckt und ich ihn sehr besonders finde.

Er setzt sich zusammen aus 60% verschiedenen südamerkanischen Arabicabohnen und 40% gewaschenem indischem Robusta.

Thomas Haack, der Röster, war bereit, uns mehr zu erzählen über die im „Deathpresso Bio“ verwendeten Bohnen, über Anbau-Hintergründe, und über die Hürden bei der Suche nach geeigneter Bio-Rohware, die daraus erwachsen:

»Espressi sind immer Kaffeemischungen und keine sortenreinen Kaffees.
Das hat etwas damit zu tun, dass ein Espresso geschmacklich eine Fülle
(in der Fachsprache „Körper“) braucht und natürlich auch die Crema. Das
schafft kein einzelner Kaffee. Beim Espresso-Blend sagt man „Alle guten
Dinge sind drei“.

Unverzichtbar ist ein hoher Brasil-Anteil (wenn man der italienischen
Lehre folgt), und die gibt es in Europa nicht mehr.

Unbeachtet vom deutschen Verbraucher gab es in Brasilien einen
Glyphosat-Skandal. Durch die räumliche Nähe zu den konventionellen
Plantagen gelangte Glyphosat auf die Bio-Kaffeeplantagen.

Das veranlasste die EU zur Kontrolle JEDES EINZELNEN Containers mit
Biokaffee aus Brasilien und siehe da, überall wurde Glyphosat entdeckt.
Der Kaffee durfte nicht in die EU eingeführt werden und musste zu
konventionellem Kaffee umdeklariert werden.

Das typische nussige und würzige Brasilaroma war plötzlich aus allen
Bio-Espressi in Europa verschwunden. Hmm, merkt das der Verbraucher? Und
ob! Unser Bio-Espressi-Verkauf sank um ca. 10% in drei Monaten.

Was tun? Alle Kontakte im Rohkaffeehandel ausschöpfen! Und so entsann
ich mich eines Rohkaffeehändlers den ich vor vielen Jahren kennengelernt
hatte und der nur direkt  Spezialitätenkaffees importiert.

Er führt Kaffee von einer brasilianischen Demeter-Plantage, die weit
genug weg vom Glyphosat-Geschehen ist… Bingo! Ein hervorragendes
Tassenprofil.

Und das war noch nicht alles: Seit Jahren suchte ich nach einem
hochwertigen gewaschenen Robusta, der ein viel saubereres Robusta-Aroma
hervorbringt als die trocken aufbereiteten Robustas. Und nochmal Bingo,
den hatte er auch, einem Parchment AB aus Indien, ebenso ein
fantastisches Tassenprofil.

Das Gute an diesen beiden Kaffees ist auch, dass die Verfügbarkeit sehr
begrenzt ist. Oft wird davon nur ein Container pro Jahr (ca 230 Sack)
importiert, mehr gibt es davon nicht. Und das ist perfekt für kleine
Röstereien wie für uns.

Ich habe dann ganz schnell einen Kontrakt abgeschlossen der mich
mindestens bis Herbst eindeckt…..«

Ganz herzlichen Dank, Thomas, für deine interessanten Ausführungen und die Einblicke in dein Rösterhandwerk!

Was ist da also jetzt, aus meiner sinnlichen Perspektive, in der Tüte? Samtig-dunkelbraune, gleichmäßig geröstete Bohnen ohne Fehler oder Bruch, die angenehm würzig-schokadig nach warmen, weichen Röstaromen duften.
Gemahlen gesellt sich dem Duft eine winzige Nuance Cassis, also schwarze Johannisbeere hinzu. Mehr das Blatt als die Frucht.

Mit der Handmühle Kinu M47 Phoenix erziele ich das beglückendste Ergebnis bei Mahlgrad 2’8“0“‘ – das ist recht fein.

Bohnenmenge: 13,9g.

Der „Deathpresso Bio“ verträgt es gut, ja, verlangt geradezu danach, langsam tropfend durchzulaufen. Diese Zeit nutzt er, um sich voll zu entfalten.

Brühtemperatur: Hoch (95ºC).

In der Tasse zeigt er sich dunkelrötlichbraun, wie der Korpus der meisten Konzertgitarren. Ein betörender, dunkler Kakaoduft, durchwoben von der herben Fruchtigkeit schwarzer Johannisbeere, nun tatsächlich eher der Frucht als des Blattes.

Schon beim ersten Nippen fühle ich mich vordergründig an
Åkessons „Madagascar Bejofo Estate“ aus 100% Criollo-Kakao erinnert. Meinen persönlichen Schokoladigkeits-Prototypen.

Wer in das Thema Schokoladigkeits-Prototyp nun nicht weiter eintauchen möchte, möge bis nach dem Kursivgeschriebenen weiterscrollen.

Was macht diese spezielle Prototypen-Schokoladigkeit für mich aus? Kakao ist ja nicht gleich Kakao! Edelkakao ist genauso prall voller Aromen und präsentiert sich genauso unglaublich kompex und vielfältig wie richtig guter, schonend gerösteter Kaffee. Von „Schokoladigkeit“ und gar von einem Schokoladigkeits-Prototypen zu sprechen, kann also nur ein Versuch sein, etwas überaus Vielgestaltiges auf einen gemeinsamen Nenner herunterzubrechen.

Kaffee wie Kakao können bekanntlich ein sehr weit aufgespreiztes Aromenspektrum haben. Oder, im Gegensatz dazu, ein Aromenspektrum, das eher in einer Art Aromen-Cluster gebündelt ist.
Je nach Röstgrad der Kakao- oder Kaffeebohnen, kann so ein Aromen-Cluster mehr im fruchtig-säuerlichen, mehr im röstaromenbetonten Bereich, oder irgendwo dazwischen liegen.

Was ich unter einem Schokoladigkeits-Prototypen verstehe, genau genommen unter einem Dunkel-Schokoladigkeits-Prototypen, ist ein recht eng zusammengerafftes Kakao-Aromen-Bündel,  röstaromendeutlich, doch -mild, süßebetont, sich in sahnig-dunkler Gefälligkeit wiegend, ohne große Ausschläge in Richtung säuerlicher Fruchtigkeit, zusammenziehender Bitterkeit oder beißender Rauchigkeit.
Das heißt nicht, dass mein Prototyp sich aus nur wenigen Aromen zusammensetzt. Sondern dass etliche, durchaus unterscheidbare Aromen dicht beieinander liegen. Diese könnten theoretisch nussig, erdig, torfig, lakritzig, karamellig, kandiert, trockenfruchtig, marmeladig, tabakig, maronig, brotig, malzig, sirup- oder honigartig, pollenartig, marzipanig, buttrig, cognac-, armagnac-, portwein-, marsala- oder likörartig, geharzt, oder, in der einen oder anderen Art, holzähnlich sein.

Dunkel, schwer und satt in jedem Fall. Jenseits von aufwühlender Schrilligkeit. Nicht unbedingt bescheiden, sondern vornehm, geradlinig, ruhig und tief.

Soweit mein Exkurs in Sachen Schokoladigkeits-Prototyp.

Vordergründig also madegassischer Criollo-Kakao – um zum „“ St. Pauli Deathpresso Bio“ zurückzukehren:    Angenehm herbbitter-erdig mit einer sehr zurückhaltenden, zutiefst süßen, fast schon kandiert wirkenden Zitrusfruchtigkeit. Am ehesten Honey-Pomelo. Hinzu kommt, mit wenig Verzögerung, ein Hauch von Cassis-Likör, der in Süße badenden Essenz der Schwarzen Johannisbeere. Dann eine Note von Gianduia, das in dieser Komposition nicht, wie gewohnt, eine perfekt balancierte Verschmelzung von gerösteten Haselnüssen mit edlem Kakao ist. Denn statt der Haselnüsse hat die Pâtissière sich hier die Zutat gerösteter Zedernkerne erlaubt, die eine buttrige, leicht süße, ganz zarte Harzigkeit in sich bergen.

Durch und durch wärmend, einhüllend, besänftigend. Was will mensch mehr an einem frühlingshaften, sonnigen Samstagnachmittag?

Diese Espressomischung ist eine ganz wunderbare Entdeckung!

Ein dickes Lob an Thomas Haack!

„Autostrada“ und „Crema Roma“ von Martermühle

Heute möchte ich euch mit den ersten beiden in Deutschland gerösteten Espresso-Mischungen bekannt machen, die meinen Geschmack voll getroffen haben:

„Autostrada“ (70% Robusta/30% Arabica) und, mehr noch, „Crema Roma“ (60% Robusta/40% Arabica), beide von der Rösterei Martermühle in Aßling in Oberbayern.

Hannah Marks vom Martermühlen-Team hat mir, auf meine Bitte hin, freundlicherweise ein paar Zeilen zukommen lassen, in denen sie beschreibt, wer hinter dem Namen „Martermühle“ steckt und wofür die Rösterei steht:

„Wir sind ein Haufen von 25 Kaffeeverrückten, Peter und Ralf haben als Freunde vor 10 Jahren ihr Hobby zum Beruf gemacht und die Kaffeerösterei Martermühle gegründet. Den ersten Röster haben sie gebraucht von einem befreundeten Röster gekauft, kurzerhand mit einem Pferdehänger in einen alten Bauernhof vom Nachbarn gestellt – schon praktisch, wenn die Frauen reiten und man in Aßling zu Hause ist. Unser Bauernhof war damals ein alter Kuhstall – über 10 Jahre hinweg haben die beiden immer weiter restauriert, renoviert und inzwischen haben wir sogar zusätzlich eine kleine Produktionshalle in Grafing. Wir rösten bis zu 20 Minuten und das macht uns auch so besonders – dadurch kann sich das Aroma entfalten und die Säure baut sich ab. Insgesamt haben wir etwa 40 Sorten, gut die Hälfte ist Bio-zertifiziert. Uns sind Transparenz und direkter Handel wichtig.“
Herzlichen Dank dafür!

Die beiden Mischungen, die ich euch vorstellen möchte, unterscheiden sich deutlich voneinander – und haben doch auch Wesentliches gemeinsam:

Sie sind auf den Punkt dunkel geröstet – kein bisschen grün, kein bisschen verbrannt. Wahrscheinlich das, was unter Röstern „French Roast“ oder vielleicht schon „Dark French“ genannt wird. Für meinen Geschmack jedenfalls genau richtig!

Beide sind samtweich und geschmeidig im Mundgefűhl. Beide weisen tiefdunkle, süße, runde Edelkakao-Basisnoten auf und tolle, warme Röstaromen, die das  Aromen-Orchester nicht dominieren, sondern in voller Breite tragen.

Auf etwas Säuerliches wird man bei beiden, trotz sehr zurückhaltender fruchtiger Obertöne,  nicht stoßen.

Früchte können halt reif oder unreif sein. In aller Fülle sonnenangereichert oder im Lager blass nachgereift. Explizit sauer, zusammenziehend und durchrüttelnd wie Zitronen – die natürlich auch noch viele andere Aromen in sich bergen – oder wie harte Kiwis oder unreife Stachelbeeren. Mild-säuerlich und fast schon parfümiert wie Litschis. Langweilig schal wie diese roten, leicht säuerlichen Pflaumen, meist aus Spanien, die aromatisch meist unentschieden bleiben und deren saftarmes, dumpfknarzendes Fruchtfleisch in hiesigen Regalen nicht reif wird, sondern tendenziell gleich braun. Säuerlich-sanft aromatisch und zugleich voller schwerer Süße, wie Waldheidelbeeren oder Zwetschgen, die schon fast vom Baum fallen vor Spätsommertrunkenheit. Eingleisig zuckrig wie die perfekt glänzenden Persimonen, denen alles weggezüchtet wurde, was Kakis, die Ursprungsfrüchte, interessant und lecker macht. Oder eben auf eine warme, umfassende, komplexe, nährende, breite, ausfüllende, tief klingende Weise süß. So, wie eben reife, schon fast matschige, vollaromatische Kakis. Wie richtig guter Kakao, der keinen extra Zucker braucht. Und wie ein wirklich erlesener, meisterlich dunkel gerösteter Espresso.

Beide hier vorgestellten Espressomischungen kommen von der komplexen, zutiefst nährenden, umschmeichelnden, süßen Sonnenreifungsseite.

Ab hier beginnen die gustatorischen Eigenheiten.

Auf den „Autostrada“ bin ich durch eine Kurzrezension in der Illustrierten „Crema“ aufmerksam geworden. Die Sätze „Dunkel geröstet, kurz vor ölig.“ und “ … trotzdem erstaunlich weich und rund.“, sowie „Nussaromen gefolgt von Zartbitterschokolade mit einem Sahnehäubchen.“ haben mich angesprochen.

Hannah Marks schreibt: „Ein bisschen was noch zum Autostrada. Wir sind hier ja im wunderschönen Oberbayern und Italien ist nicht weit. Der Autostrada ist letztes Jahr Pfingsten bei einer Fahrt über den Brenner entstanden: Ein Espresso, genau wie der erste Espresso an der Autostrada in Italien. Ein kräftiger Schluck La Dolce Vita eben.“

Die Bohnen, direkt bei der Rösterei bestellt, kamen 4 Tage nach dem Röstdatum. So frisch also, dass mir klar war: Die müssen noch mindestens 10 Tage liegen und CO2 abbauen. Vom Kundenservice der Rösterei erhielt ich per Mail die Info, der „Autostrada“ sei bereits nach 14 Tagen trinkreif.
An Tag 13 war ich so neugierig, dass ich einen ersten Versuch gestartet habe.

Paranussschalenfarbene, gleichmäßig dunkel geröstete Bohnen verschiedener Größe. Kein Bruch, keine Fehler.

 

Ich hatte, wie erwartet, recht viel Schaum in der Tasse. Und darunter einen Espresso mit ausgesprochen viel Kawumm, der bereits sehr überzeugend war in seinem noch nicht ganz entfalteten warmen, runden, vollen, weichen Potential.
Ich ließ ihn weitere zwei Tage ruhen. An Tag 15 war er breiter und deutlicher geworden in seinem Aromenprofil, schäumte aber nach wie vor erheblich, so dass die eigentliche Crema noch im Verborgenen blieb. Die Begegnung war, vermutlich gepusht durch das noch immer in recht hohem Maße vorhandene Kohlendioxid, weiterhin wie eine Kollision mit einer Koffeinfaust. Daher gab ich ihm weitere 5 Tage und probierte derweil den „Crema Roma“, den ich anschließend an den „Autostrada“ beschreiben werde.

Tag 20:
Der „Autostrada“ mit seinen 70% Robusta-Bohnen ist nun trink-zahm!
13,6g, Mahlgrad 8’0“ (Apollo) – d.h. im mittleren Espresso-Mahlgrad-Bereich.

Beim Mahlen entfaltet sich ein wunderbarer, warmer, herb-nusskrokantiger, verlockender Röstaromen-Duft.

Hohe Brühtemperatur. 12 Sekunden Präinfusion, zu Beginn der PI zeigt der Temperaturstreifen noch keine 95ºC, zu Beginn des Bezuges ist die 95ºC-100ºC-Markierung gerade eben verfärbt. Keine Messung der Bezugszeit oder Grammzahl. In meiner Tasse befindet sich ein Ristretto mit ca 2mm Schaum drauf, welcher kurz darauf abgesunken ist und den Blick auf eine noch nicht ganz feinporige, haselnussbraune Crema freigibt.

Der erste Schluck:
Einfach nur Wow!
Die Basisnoten: Tiefdunkler, purer Criollo-Kakao, ähnlich dem „Cusco Chuncho 100%“ von Original Beans. Dunkles, schweres Mandelkrokant, das in mir die Erinnerung an frisch gebackene Florentiner wachruft.
Die Kopfnote ein winziger, wirklich fast verschwindender Hauch unbehandelten, getrockneten Tabaks – so, wie es duftet, wenn ganz kurz neben dir eine Tabakdose geöffnet wird.  … Vielleicht auch ein bisschen wie Heublumen.
Und dazwischen, im Herzen des Geschmacks, ein gehauchter Anklang von dieser etwas erdigeren, herberen, dunkleren Orangenhaftigkeit, der reife Blutorangen ausmacht.
Das alles in sahnig.
Geschmeidig. Enorm kraftvoll.
Himmlisch!

Unglaublich, dass dieselbe Rösterei einen Espresso produziert, der für mich den „Autostrada“ noch ein wenig toppt:

Wiederum gleichmäßig geröstete, matt glänzende, pekannuss-braune Bohnen ohne Bruch oder Fehler, die wunderbar duften.

Der „Crema Roma“ zeigt sich mir im Vergleich noch einen Tick exquisiter und vielschichtiger als sein etwas rauhbeinigerer Bruder.

Ich habe die gleichen Parameter verwendet  wie beim Autostrada.

SO lecker, bereits beim ersten Versuch (Tag 29 nach der Röstung)!
Wirklich auf den Punkt dunkel geröstet. Erneut kein bisschen grün, kein bisschen verbrannt.
Samtweich und geschmeidig. Den Gaumen umschmeichelnde, wunderbar warme Röstaromen, die mich an dunkles Karamell und frisch geröstete Haselnüsse erinnern, wie ich sie im Piemont, dem europäischen Haselnuss-El Dorado, auf dem Markt genossen habe. Buttertoast. Tiefdunkle, natursüße Kakaonoten, ähnlich der köstlichen herb-aromatischen „100 %“ von Willies Cacao aus England.
Breit klingende Obertöne von sonnengereifter, süßer, heller Sultana-Weintraube. Ein Hauch von gutem, weichem, altem Brandy, dessen Tabak-, Leder- und dunkle Brombeer- und Pflaumenmarmelade-Aromen, direkt über die Nase ihren Weg ins Genusszentrum finden …
Cremig-schmelzendes Mundgefühl.
Dieser Espresso hinterlässt in mir ein zutiefst beglückendes, warmes Wonnegefühl, das sich breit fließend im meinem gesamten Körper ausbreitet, als würde ich im Hochsommer abends, irgendwo im Süden, vielleicht am Strand von Ostia, die letzten kraftvoll ausglühenden Sonnenstrahlen tanken.

Wow! Wow! Wow!
Ein begeistertes Lob nach Aßling!

Ich vergebe gleich zweimal Frau Antjes „Tazzina d’oro“!

„Satèn“ von Lollo Caffè

Heute im Test:

Der Granbar „Satèn“ von der Rösterei LOLLO CAFFÈ aus Scisciano bei Neapel.

Heureka!

Frau Antje hat diese Miscela (ca 70% Arabica/30% Robusta) bezwungen!

Ich dachte schon, wir werden keine Freunde mehr. Im Rahmen der Parameter, die bei mir normalerweise zum sicheren Espresso-Glűck führen, geriet der „Satèn“ die ersten Male dermaßen bitter, dass ich ihn allen Ernstes mit Tausendgűldenkraut-Tee verglich. Oder mit Momordica, der indischen Bittergurke. Sowas trink ich normalerweise ja nur freiwillig, wenn mein Magen mal sehr zwickt.

Philipp Wanivenhaus von www.vettore.at , wo ich die Bohnen erstanden hatte, riet mir dann, eine deutlich höhere BG-Temperatur zu wählen. Okay, gesagt, getan.

Mit 95ºC bei PI-Beginn wurde er schon gut trinkbar und der, für mich wahrnehmbare, sehr bittere Beigeschmack ließ sich auf ein erträgliches Maß eindämmen.

Schöne tiefdunkle Kakaonoten, echte Lakritze, dunkles Karamell, Zitrusfruchtschale mitsamt dem (recht bitteren) weißen Inneren. Wunderbar sämige Konsistenz. Ein bisschen kratzigborstig noch.

Mit 95,5ºC, also diesem halben Grad mehr zu Beginn der PI, ist er nun richtig oberlecker geworden.

13,9g.

Da kam aber noch ein zweiter Trick hinzu, abgekuckt von den Baristi der Passalacqua-Bar „Mexico“ an der Piazza Dante in Neapel – wo mir der Espresso so gut geschmeckt hat, wie selten sonst irgendwo:

Ich hab ihn nämlich so fein gemahlen, dass er fast bis zum Ende nur getröpfelt ist (Mahlgrad 8’0“ mit meiner Apollo). Das hat lange gedauert, bis die Tasse ristretto-voll war! Wie eben dort in Neapel.
*tröpfel* … *tröpfel* … *tröpfel* …

Und nun, so dermaßen unverschämt „űberextrahiert“ nach hier gängigen Maßstäben, war der „Satèn“ ein Gedicht:

Tiefdunkle Kakao-Masse, verschwindend wenig Lakritz, dunkles Karamell, ein Hauch Bitterorangenschale, eine winzige Prise feinstes Meersalz, etwas Zwieback. Eine Sämigkeit, die ihresgleichen sucht. Es hat wenig gefehlt, und der Löffel hätte in der Tasse gestanden. Traumhaft weicher schwarzschokoladiger, orangenschaliger Abgang. Elegant und dreckig zugleich. Die Sumpfsau mit Perlenhalsband unter den napoletanischen Espressi. Exzentrisch zum Davonrennen bis 95,5ºC. Fast widerlich  …

…  und plötzlich reibt sie ihren schlammigen Kopf an dir, gibt Pfötchen und schenkt dir ein Tässchen wahre Gaumenfreude, die dich für den Rest des Tages beseelt sein lässt.

Diese Espresso-Mischung war eine etwas größere Herausforderung für mich. Ich bin froh, dass ich es, trotz ihrer abtörnenden Bitter-Angriffe nicht aufgegeben habe, mich um sie zu bemühen! Zur Belohnung hat sie mich in ihren Schokoladen-Sumpf mitgenommen, mich mitsuhlen und vor Wonne entzűckt grunzen lassen.

Es hat sich wie ein heißes, dickes Ganzkörper-Schlammbad angefűhlt, das bis in die letzte Zelle hinein wärmt und nährt, ohne jedoch schläfrig und schwer zu machen. Im Gegenteil: Bei aller wonnigen Wohligkeit bleibt der Kopf klar! Ein tolles Gefühl! Bitte mehr davon!

*grunz*

„Bar Fragasso“ in Berlin/Prenzlauer Berg

Für eine Liebhaberin von dunklem, sűditalienischem Espresso ist sie ein Highlight in Berlin: Die kleine, schlichte, angenehm unstylische „Bar Fragasso“ in der Greifswalder Straße 210/ Prenzlauer Berg.

Heute im Ausschank: „Barocco“ von Quarta. Jippieh! Ein Sechser im Espresso-Lotto!

Der Ristretto hätte für mich etwas kűrzer und sämiger sein können, auch beim zweiten Mal – und dennoch ist er geschmacklich ein Hochgenuss! Florian, der freundliche, sehr zugewandte Barista aus Wien verspricht mir, sich beim nächsten Mal wirklich zu trauen, ihn mir mit noch weniger Wasser zuzubereiten. Kommt wahrscheinlich nicht so häufig vor, dass jemand das will …

Später tauschen wir uns sehr angeregt und beiderseits voller Leidenschaft űber Espresso aus – und die Welt, die drum herum kreist. 

Im Verkaufsregal steht der ganze Reigen von Passalacqua- und Quarta-Blends. Sowie Tre Forze. Crastan aus Ligurien. Bontadì vom Gardasee. New York.

Alle Bohnen, die es von den Röstereien originalverpackt nur ein- oder dreikiloweise gibt, sind auch – von Fragasso abgepackt – in 250g-Packungen zu bekommen.

Des weiteren gibt es eine űberschaubare Auswahl an Siebträgermaschinen, Herdkännchen, Műhlen und Kaffeemaschinen-Zubehör.

Falls man was essen möchte, werden hier diverse Toasts und Panini, Bircher Műesli und Tiramisù angeboten. Bestimmt lecker. Das Apfel-Törtchen, das ich zum Abschluss noch verzehrt habe, war jedenfalls köstlich.

Alles in allem eine Oase! Wo auch immer ihr in Berlin seid – zieht auf jeden Fall einen Ausflug ins „Fragasso“ in Betracht, wenn ihr tollen, sűditalienischen Espresso trinken wollt!

„Uberfrettchen“ von Quijote

Ein herbstsonniges Hallo an diesem Oktobersamstag aus Frau Antjes Espressoverkostungs-Studio.

Heute im Test: Das „Uberfrettchen“ von der hamburgischen Rösterei Quijote.

Bevor es zur eigentlichen Verkostung kommt, werdet ihr euch etwas gedulden müssen. Denn Quijote ist eine ziemlich doll andere Rösterei als die meisten. Mich in die Themen hineinzulesen, denen Quijote sich in besonderer Weise widmet, hat mich nachdenklich gemacht.

Es geht um den Kaffeeweltmarkt, um Kaffeebauern, um den Schwindel, der oft mit Gűtesiegeln betrieben wird, um Direkthandel und Transparenz und Ökologie und Kooperation …

Und um Komplexität.

Űber letzteres möchte ich zuerst was schreiben. Danach was  űber das Unternehmen „Fairtrade“, gefolgt von der Vorstellung einer wirklich fairen Alternative zu sogenanntem Fairtrade-Kaffee. Ich habe ein bisschen was űber die Rösterei Quijote zusammengetragen. Dann werde ich einen inneren Konflikt von mir in Dialogform beschreiben. Und erst dann kommt die Verkostung. Wer gleich dorthin möchte, möge die Scrollfunktion nutzen (‚Die Verkostung‘ ist fett geschrieben 🙂  ) .

Alsdann …  Kaffeehandel.  Geld. Verlockungen. Gewissen. Ein weites Feld.

Ich weiß, dass ich, als Bewohnerin eines der  reichsten Länder der Erde, sehr privilegiert bin.

Und ich erlebe mich oft als latent űberfordert. Inmitten all der unfassbar komplexen, vielfach von uns Menschen selbst geschaffenen Zusammenhänge, finde ich es ganz schön schwer, immer wieder neu zu einer gesunden Balance zu gelangen zwischen innerer Authentizität und von mir erkannter äußerer Notwendigkeit. Meine eigenen Bedürfnisse vermag ich in der Regel ganz gut zu erkennen und zu benennen. Was im Außen jedoch geschieht, ist für mich oft buchstäblich nicht mehr zu fassen.

Wir werden so sehr űberflutet von Informationen jeglicher Art, dass wir nur einen Bruchteil davon auch nur ansatzweise erfassen, geschweige denn verdauen können.

Die Anforderungen, denen ich mich im Alltag gegenüber sehe, ändern sich regelmäßig so viel schneller, als ich hinterherkomme. Worauf konzentrieren? Wann einfach „Stop!“ sagen und ruhen lassen? Oder beiseite schieben? Technische Neuerungen űberholen mich von allen Seiten. Mich verlangt es nach immer häufigeren Pausen. Und ich bin wirklich sowas von froh, dass ich noch so atmen darf, wie ich es seit bald 60 Jahren gewohnt bin. Also ohne App, ohne elektronisches Boosting, ohne das bremsende Wissen, jemand anderem dadurch etwas zu nehmen. Atmen, frűher kaum beachtete, als banal empfundene Selbstverständlichkeit, hat sich für mich zu einer Oase des Guten, Eindeutigen, Wohlbekannten entwickelt. Űberhaupt meinen Körper wahrzunehmen. Innezuhalten. Zu spűren, was in mir passiert und einfach damit zu sein, finde ich mittlerweile wunderbar beruhigend – gerade angesichts all dessen, was es „da draußen“ zu bedenken gibt.

Und doch: Es wurde und wird so manches durchaus körperlich fűhlbare Begehren geweckt, das ich ohne Kolonialisierung, Werbung und Globalisierung sicherlich so niemals verspürt hätte. Das Begehren von Kaffee gehört dazu. Kaffee, genau genommen Espresso, der von weit weg űber viele Stationen zu mir kommt, und der für mich – zum Glück nicht als einziger Weg dahin – eng mit Pausieren und mit Sinnes-Genuss verknüpft ist. 

Wir, in den reichen Ländern, denken zu viel und sitzen zu viel und konsumieren von frűh bis spät. Auch ich ertappe mich des öfteren dabei, unversehens in diesen Sog geraten zu sein. Wir sind ständig mit irgendwas beschäftigt, halten, manche regelhaft, andere zumindest phasenweise, zu wenig inne und wir nehmen zu wenig wahr. Wir sind von Vielem, das uns vertraut ist, letztlich doch entfremdet. Wir verwechseln Habenwollen mit Brauchen, spontane Impulse mit echten Bedűrfnissen, Befriedigung mit Liebe. Und das Schlimmste: Wir leben auf Kosten anderer, die in den Ländern leben, die wir ausbeuten.

Wir zerstören systematisch die Umwelt, als wäre diese ein Haifischgebiss, das bei Zahnausfall die nächste Reihe parat hat.

In vielen von uns ringt das schlechte Gewissen mit den Verlockungen all der Möglichkeiten, abzutauchen in etwas, das wir mit Entspannung, Freude, Erholung, Genährtwerden verbinden. Was aber leider allzuoft einen Haken hat. Seien es Urlaubsreisen, die mit Flűgen verbunden sind, sei es ein wärmender Eintopf auf Fleischbasis, seien es Mangos, Bananen, Schokolade, sei es das CO2-intensive Anschauen eines Videos im Internet, das etwas Schönes, Erfreuliches zeigt, was eine gute Freundin erlebt hat und mit mir teilen möchte, sei es űberhaupt der Besitz eines Smartphones, sei es eine mollig geheizte Wohnung. Oder eben Kaffeetrinken statt heimischer, in fußläufiger Nachbarschaft handgeernteter Kräutertees.  Vielen von uns ist dieses Ringen, dieses Abwägen, zu einer Art mahnendem Schatten geworden, der uns fast űberall hinbegleitet. Auch mir. 

Es ist oft schwer, Schein von Sein zu unterscheiden. Ideologie wird allzuoft als Tatsache hingestellt. Bedrohliche Tatsachen werden verharmlost. Informationen werden mit Verschwörungstheorien vermengt. Allgegenwärtige Schwarz-Weiß-Darstellungen im Internet sind Hűrden beim differenzierenden Suchen, Sammeln und Abwägen von echten Fakten. 

Viele, Einzelne, Firmen und Institutionen, behaupten, sich für ein sozialeres, gerechteres Miteinander und für Umweltschutz einzusetzen. Preisen sich damit an. Doch die Wahrheit ist oft eine ganz andere. Zumindest existiert die Eindeutigkeit des Edlen und Guten so, wie sie beworben wird, in der Umsetzung nur äußerst selten. 

Das Unternehmen „Fairtrade“ z.B. schreibt űber sich selbst: „Bei Produkten mit dem Fairtrade-Siegel haben Sie die Gewissheit, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Bauern und Beschäftigten durch Fairtrade-Preise und -Prämie verbessert werden.“
Klingt ja erstmal sehr beruhigend. Gewissheit! Wer sehnt sich nicht danach? Ich als Verbraucherin werde in den Traum gelullt, nur wenige Cent mehr zu zahlen für ein Produkt und allein damit bereits die Welt ein deutliches Stück weit zum Guten zu verändern.

Schön wär’s! Der Traum hält der Wirklichkeit bedauerlicherweise nicht stand.

Wer bei“ Fairtrade“ nur an Weltläden und Idealisten in handgefärbten, selbstgestrickten Kratzwollpullis denkt, vergisst, dass das Geschäft mit dem Siegel sich mittlerweile einen riesigen Markt erschlossen hat, der längst die Mitte der Gesellschaft bedient. In Deutschland gibt es tausende verschiedener Produkte, erhältlich im Onlinehandel, in Supermärkten, Cafés, Restaurants, Baumärkten, etc. Die Gewinne sind gigantisch. Das Siegel klebt praktisch überall: Auf Kleidung, Holz, Reis, Bananen, Blumen, Trockenfrüchten, Schokolade, Gewűrzen oder Zucker.

Das wichtigste Produkt im Geschäft mit dem guten Gewissen ist jedoch, soviel ich weiß, nach wie vor Kaffee.

Desillusionierenderweise gibt es genűgend Belege dafür, wie das Unternehmen „Fairtrade“ mit dem guten Gewissen der Konsumenten in erster Linie selber Geld verdient. Ein nicht unerheblicher Teil der Einnahmen geht von vorneherein schonmal für die umfangreiche Verwaltung drauf.
Es stimmt zwar, dass die Bauern mehr Geld für ihre Ware bekommen – das wird ihnen jedoch für hohe jährliche Zertifizierungs- und Beratungskosten weitgehend wieder abgezogen – bzw. műssen sie sogar in Vorleistung treten.
Der Ökonom Bruce Wydick von der University of San Francisco wurde in der ‚Zeit‘ zitiert, Entwicklungsökonomen seien sich mittlerweile darüber einig, dass Fairtrade-Kaffee eines der uneffektivsten Mittel zur Bekämpfung von Armut sei.
Darűberhinaus scheint es erwiesen zu sein, dass sich „Fairtrade“ regelmäßig und systematisch mit qualitativ minderwertiger Ware beliefern lässt. Ketten wie Starbucks schműcken sich mit dem „Fairtrade“-Siegel, was es für mich nicht unbedingt glaubwürdiger macht.
Kein Wunder, dass ich mich an keinen einzigen „Fairtrade“-Kaffee erinnern kann, der mir wirklich gut geschmeckt hätte (was, gerade angesichts der Lage der allermeisten Kaffeebauern, natürlich ein Wohlstandsproblem, doch nichtsdestotrotz meine privilegierte Realität ist).

Ähnliches Ernűchterndes ist űber die Biosiegel bekannt, allen voran das sogenannte EG-Bio-Siegel, das eine Farce sondergleichen ist. Eine Zertifizierung wűrde den meisten Kleinbauern finanziell das Genick brechen, auch wenn sie alle Kriterien bei weitem erfüllen. Aus diesem Grund stammen die meisten zertifizierten Bioprodukte leider aus landwirtschaftlichen Industriebetrieben.

„Fairtrade“ ist also offenbar keine Lösung. Weder was Fairness noch was Qualität angeht. Biosiegel auch nicht. Was dann? Gibt es fairen Kaffeehandel?

Ja.

Was es GIBT sind:
Röstereien, die sich sehr ernsthaft sowohl für wirklich sozial faire und ökologisch nachhaltige Kaffeeproduktion einsetzen, als auch für hohe Rohkaffee- und Röstqualität.
Manche von ihnen haben sich zusammengeschlossen unter der Bezeichnung „Transparent Trade Coffee“ (TTC).
Die wesentlichen Ansatzpunkte von TTC sind:

1. Direkter Einkauf bei kleinbäuerlichen Produktionsgemeinschaften ohne Zwischenhändler und Makler.

2. Eine klar definierte, nachvollziehbare, vertraglich festgelegte Vereinbarung, nach der den Bauern nicht nur ein fairer Rohkaffeepreis bezahlt und eine bestimmte, garantierte Abnahmemenge vor Beginn der Ernte vorfinanziert wird. Sondern darűberhinaus fließt ein bestimmter Prozentsatz von den Einnahmen des gerösteten Kaffees zu den Kaffeebauern zurűck. Mit anderen Worten: Die Kaffeebauern erhalten einen prozentualen Anteil des Verkaufspreises, den die Kaffeekonsumenten am Ende bezahlen. Der Fachbegriff dafür ist „Return to Origin“ (RTO)

3. Transparenz

Eine dieser sozial engagierten Röstereien ist „Quijote“ in Hamburg.

Auf der Website der Rösterei ist zu lesen: „Quijote ist in der Spezialitätenkaffeebranche weltweit führend in Bezug auf den ‚Return to Origin‘ (RTO). Dies ist der prozentuale Anteil des Verkaufspreises vom Röstkaffee, den die Produzenten erhalten. Er liegt bei uns zwischen 29% und 34 % und ist somit weit höher als branchenüblich. http://transparenttradecoffee.org/transparentcoffees
Dies hat zwei Gründe: Wir haben einerseits als Unternehmen keine Gewinnerzielungsabsicht über unsere Löhne hinaus und andererseits wollen wir keine soziale Selektion unserer Kunden über den Preis.“

Quijote, so lese ich weiter, sei gleichberechtigt als Kollektiv organisiert, was bedeute, dass alle Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und an alle Kollektivmitglieder der gleiche Lohn ausgezahlt wird. Dieser sei begrenzt auf den hamburgischen Durchschnittslohn. Des Weiteren wird eine Produktions-Obergrenze von 79t gerösteten Kaffees genannt.
Wichtig sei der persönliche Kontakt und Austausch mit den Partnerkooperativen, sprich den Kaffeebauern vor Ort.
Und Bioanbau sei eine Selbstverständlichkeit. Auf Siegel verzichte man – dafür werden die Rohkaffeeverträge veröffentlicht.

Wow! Ich bin schwer beeindruckt!

Aber wird der Kaffee der sűd-italophilen Prinzessin auf der Espressobohne auch schmecken?

„Pfui!“ sagt mein Gewissen, „die setzen sich wirklich für ’ne bessere Welt ein – und du hast nix besseres zu tun als dir Sorgen zu machen um die Erfüllung deiner Gourmet-Ansprüche. … Suuuper, Frau Edelgaumen! Nobel geht die Welt zugrunde! Dann geh mal schön deine erlauchten Geschmacksknospen polieren!“ …
„Hör zu, Gewissen!“, entgegnet mein lukullisches Ich, “ Du bist hier nicht der einzige, was zu melden hat. Mich gibt es auch, wie du wohl weißt – und ich werde mich von dir nicht mundtot moralisieren lassen! Ob’s dir gefällt oder nicht! Die Welt wird durch strangulierte Sinnlichkeit nun mal nicht lebenswerter! Du gibst dann womöglich mal Ruhe – aber alle anderen kriegen depressive Verstimmungen vor lauter Verzicht. Genuss ist wichtig für die Seele! Die Welt braucht glűckliche Menschen! Nur unglückliche Menschen zetteln Kriege an. So seh ich das! … “
„Ich finde, du űbertreibst es mit deinem abgehobenen Geschmecke!“ faucht das Gewissen, „Die Kaffeebauern sind dir wohl egal?! Das, was da passiert, ist auch eine Form von Krieg! Schnall das doch mal! Sei froh, dass du űberhaupt was zu trinken hast! Heißgetränk ist Heißgetränk! Maaaannnn ey!“
„Huh! Banause!“ Die innere Feinschmeckerin wendet sich schaudernd ab.
Harmonie mischt sich vorsichtig ein: „Vielleicht finden wir ja was, was euch beiden gefällt … “


*grummel*
*schweig*

Zum Uberfrettchen:

Die Mischung setzt sich zusammen aus 30%  washed Arabica und 30% natural Arabica  jeweils Ernte 2019 der Kooperative COMSA in Marcala, Honduras, sowie 40% washed Robusta aus der Ernte 2019 der Kooperative O. Wayanad in Kerala, Indien.

Die Verkostung:

Die unterschiedlich großen Bohnen sind schön gleichmäßig palisanderfarben geröstet. Eher dunkel  aber weit entfernt von sehr dunkel.

Sie duften angenehm warm-karamellig mit etwas Grűnem dabei.

Bester Bezug:

12,6g, BG-Temperatur bei Beginn des Bezuges (La Pavoni Professional) 94ºC, Bezugszeit 20 Sekunden.

Leuchtend rotbraune, dichte Crema, karamellig-sűffiger Duft, der bereits ein Quäntchen Säure verrät.

Beim Schmecken zeigt sich die Säure als hintergrűndig genug, weich und gut eingebunden. Sie hat tatsächlich was Cognacartiges. Gleichzeitig nehme ich etwas minimal (!) Adstringierendes, Stumpfes wahr, das mich an Grűne Walnuss und Stachelbeere mit Haut erinnert.

Die wunderbare 100%ige Zotter-Kakaomasse kommt mir in den Sinn. Ja, und auch Mousse (au Chocolat dűrfte gemeint sein)  wie es auf der Packung steht, kommt hin. Und dunkles Mandelkrokant. Das Uberfrettchen ist ausgesprochen rund, weich und űppig im Schmelz. Lecker!

Meinen ganz persönlichen, konditionierten Glűcks-Geschmack wűrde dieser so schon tolle Espresso vermutlich noch mehr treffen, wenn der Röstmeister/die Röstmeisterin ihn noch ein klein wenig dunkler werden ließe. Ein wenig mehr Röstaromen anstelle des ganz ganz leicht Zusammenziehenden, etwas Stumpfen, noch Grűnen, wűrden ihn fűr mich noch runder machen. Anderen schmeckt wahrscheinlich genau dieser Hauch Rest-Grűnheit besonders gut und sie wűrden ein kleines Mehr an Röstaromen bereits als störend bemängeln. Geschmackssache halt.

In jedem Fall gibt es eine klare Empfehlung von mir. Nicht nur wegen des Fairness- und Nachhaltigkeits-Bonus. Das Uberfrettchen ist klasse! Wobei ich keine Ahnung habe, was das ‚Uber‘ vor dem Frettchen bedeutet.