„Uberfrettchen“ von Quijote

Ein herbstsonniges Hallo an diesem Oktobersamstag aus Frau Antjes Espressoverkostungs-Studio.

Heute im Test: Das „Uberfrettchen“ von der hamburgischen Rösterei Quijote.

Bevor es zur eigentlichen Verkostung kommt, werdet ihr euch etwas gedulden müssen. Denn Quijote ist eine ziemlich doll andere Rösterei als die meisten. Mich in die Themen hineinzulesen, denen Quijote sich in besonderer Weise widmet, hat mich nachdenklich gemacht.

Es geht um den Kaffeeweltmarkt, um Kaffeebauern, um den Schwindel, der oft mit Gűtesiegeln betrieben wird, um Direkthandel und Transparenz und Ökologie und Kooperation …

Und um Komplexität.

Űber letzteres möchte ich zuerst was schreiben. Danach was  űber das Unternehmen „Fairtrade“, gefolgt von der Vorstellung einer wirklich fairen Alternative zu sogenanntem Fairtrade-Kaffee. Ich habe ein bisschen was űber die Rösterei Quijote zusammengetragen. Dann werde ich einen inneren Konflikt von mir in Dialogform beschreiben. Und erst dann kommt die Verkostung. Wer gleich dorthin möchte, möge die Scrollfunktion nutzen (‚Die Verkostung‘ ist fett geschrieben 🙂  ) .

Alsdann …  Kaffeehandel.  Geld. Verlockungen. Gewissen. Ein weites Feld.

Ich weiß, dass ich, als Bewohnerin eines der  reichsten Länder der Erde, sehr privilegiert bin.

Und ich erlebe mich oft als latent űberfordert. Inmitten all der unfassbar komplexen, vielfach von uns Menschen selbst geschaffenen Zusammenhänge, finde ich es ganz schön schwer, immer wieder neu zu einer gesunden Balance zu gelangen zwischen innerer Authentizität und von mir erkannter äußerer Notwendigkeit. Meine eigenen Bedürfnisse vermag ich in der Regel ganz gut zu erkennen und zu benennen. Was im Außen jedoch geschieht, ist für mich oft buchstäblich nicht mehr zu fassen.

Wir werden so sehr űberflutet von Informationen jeglicher Art, dass wir nur einen Bruchteil davon auch nur ansatzweise erfassen, geschweige denn verdauen können.

Die Anforderungen, denen ich mich im Alltag gegenüber sehe, ändern sich regelmäßig so viel schneller, als ich hinterherkomme. Worauf konzentrieren? Wann einfach „Stop!“ sagen und ruhen lassen? Oder beiseite schieben? Technische Neuerungen űberholen mich von allen Seiten. Mich verlangt es nach immer häufigeren Pausen. Und ich bin wirklich sowas von froh, dass ich noch so atmen darf, wie ich es seit bald 60 Jahren gewohnt bin. Also ohne App, ohne elektronisches Boosting, ohne das bremsende Wissen, jemand anderem dadurch etwas zu nehmen. Atmen, frűher kaum beachtete, als banal empfundene Selbstverständlichkeit, hat sich für mich zu einer Oase des Guten, Eindeutigen, Wohlbekannten entwickelt. Űberhaupt meinen Körper wahrzunehmen. Innezuhalten. Zu spűren, was in mir passiert und einfach damit zu sein, finde ich mittlerweile wunderbar beruhigend – gerade angesichts all dessen, was es „da draußen“ zu bedenken gibt.

Und doch: Es wurde und wird so manches durchaus körperlich fűhlbare Begehren geweckt, das ich ohne Kolonialisierung, Werbung und Globalisierung sicherlich so niemals verspürt hätte. Das Begehren von Kaffee gehört dazu. Kaffee, genau genommen Espresso, der von weit weg űber viele Stationen zu mir kommt, und der für mich – zum Glück nicht als einziger Weg dahin – eng mit Pausieren und mit Sinnes-Genuss verknüpft ist. 

Wir, in den reichen Ländern, denken zu viel und sitzen zu viel und konsumieren von frűh bis spät. Auch ich ertappe mich des öfteren dabei, unversehens in diesen Sog geraten zu sein. Wir sind ständig mit irgendwas beschäftigt, halten, manche regelhaft, andere zumindest phasenweise, zu wenig inne und wir nehmen zu wenig wahr. Wir sind von Vielem, das uns vertraut ist, letztlich doch entfremdet. Wir verwechseln Habenwollen mit Brauchen, spontane Impulse mit echten Bedűrfnissen, Befriedigung mit Liebe. Und das Schlimmste: Wir leben auf Kosten anderer, die in den Ländern leben, die wir ausbeuten.

Wir zerstören systematisch die Umwelt, als wäre diese ein Haifischgebiss, das bei Zahnausfall die nächste Reihe parat hat.

In vielen von uns ringt das schlechte Gewissen mit den Verlockungen all der Möglichkeiten, abzutauchen in etwas, das wir mit Entspannung, Freude, Erholung, Genährtwerden verbinden. Was aber leider allzuoft einen Haken hat. Seien es Urlaubsreisen, die mit Flűgen verbunden sind, sei es ein wärmender Eintopf auf Fleischbasis, seien es Mangos, Bananen, Schokolade, sei es das CO2-intensive Anschauen eines Videos im Internet, das etwas Schönes, Erfreuliches zeigt, was eine gute Freundin erlebt hat und mit mir teilen möchte, sei es űberhaupt der Besitz eines Smartphones, sei es eine mollig geheizte Wohnung. Oder eben Kaffeetrinken statt heimischer, in fußläufiger Nachbarschaft handgeernteter Kräutertees.  Vielen von uns ist dieses Ringen, dieses Abwägen, zu einer Art mahnendem Schatten geworden, der uns fast űberall hinbegleitet. Auch mir. 

Es ist oft schwer, Schein von Sein zu unterscheiden. Ideologie wird allzuoft als Tatsache hingestellt. Bedrohliche Tatsachen werden verharmlost. Informationen werden mit Verschwörungstheorien vermengt. Allgegenwärtige Schwarz-Weiß-Darstellungen im Internet sind Hűrden beim differenzierenden Suchen, Sammeln und Abwägen von echten Fakten. 

Viele, Einzelne, Firmen und Institutionen, behaupten, sich für ein sozialeres, gerechteres Miteinander und für Umweltschutz einzusetzen. Preisen sich damit an. Doch die Wahrheit ist oft eine ganz andere. Zumindest existiert die Eindeutigkeit des Edlen und Guten so, wie sie beworben wird, in der Umsetzung nur äußerst selten. 

Das Unternehmen „Fairtrade“ z.B. schreibt űber sich selbst: „Bei Produkten mit dem Fairtrade-Siegel haben Sie die Gewissheit, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Bauern und Beschäftigten durch Fairtrade-Preise und -Prämie verbessert werden.“
Klingt ja erstmal sehr beruhigend. Gewissheit! Wer sehnt sich nicht danach? Ich als Verbraucherin werde in den Traum gelullt, nur wenige Cent mehr zu zahlen für ein Produkt und allein damit bereits die Welt ein deutliches Stück weit zum Guten zu verändern.

Schön wär’s! Der Traum hält der Wirklichkeit bedauerlicherweise nicht stand.

Wer bei“ Fairtrade“ nur an Weltläden und Idealisten in handgefärbten, selbstgestrickten Kratzwollpullis denkt, vergisst, dass das Geschäft mit dem Siegel sich mittlerweile einen riesigen Markt erschlossen hat, der längst die Mitte der Gesellschaft bedient. In Deutschland gibt es tausende verschiedener Produkte, erhältlich im Onlinehandel, in Supermärkten, Cafés, Restaurants, Baumärkten, etc. Die Gewinne sind gigantisch. Das Siegel klebt praktisch überall: Auf Kleidung, Holz, Reis, Bananen, Blumen, Trockenfrüchten, Schokolade, Gewűrzen oder Zucker.

Das wichtigste Produkt im Geschäft mit dem guten Gewissen ist jedoch, soviel ich weiß, nach wie vor Kaffee.

Desillusionierenderweise gibt es genűgend Belege dafür, wie das Unternehmen „Fairtrade“ mit dem guten Gewissen der Konsumenten in erster Linie selber Geld verdient. Ein nicht unerheblicher Teil der Einnahmen geht von vorneherein schonmal für die umfangreiche Verwaltung drauf.
Es stimmt zwar, dass die Bauern mehr Geld für ihre Ware bekommen – das wird ihnen jedoch für hohe jährliche Zertifizierungs- und Beratungskosten weitgehend wieder abgezogen – bzw. műssen sie sogar in Vorleistung treten.
Der Ökonom Bruce Wydick von der University of San Francisco wurde in der ‚Zeit‘ zitiert, Entwicklungsökonomen seien sich mittlerweile darüber einig, dass Fairtrade-Kaffee eines der uneffektivsten Mittel zur Bekämpfung von Armut sei.
Darűberhinaus scheint es erwiesen zu sein, dass sich „Fairtrade“ regelmäßig und systematisch mit qualitativ minderwertiger Ware beliefern lässt. Ketten wie Starbucks schműcken sich mit dem „Fairtrade“-Siegel, was es für mich nicht unbedingt glaubwürdiger macht.
Kein Wunder, dass ich mich an keinen einzigen „Fairtrade“-Kaffee erinnern kann, der mir wirklich gut geschmeckt hätte (was, gerade angesichts der Lage der allermeisten Kaffeebauern, natürlich ein Wohlstandsproblem, doch nichtsdestotrotz meine privilegierte Realität ist).

Ähnliches Ernűchterndes ist űber die Biosiegel bekannt, allen voran das sogenannte EG-Bio-Siegel, das eine Farce sondergleichen ist. Eine Zertifizierung wűrde den meisten Kleinbauern finanziell das Genick brechen, auch wenn sie alle Kriterien bei weitem erfüllen. Aus diesem Grund stammen die meisten zertifizierten Bioprodukte leider aus landwirtschaftlichen Industriebetrieben.

„Fairtrade“ ist also offenbar keine Lösung. Weder was Fairness noch was Qualität angeht. Biosiegel auch nicht. Was dann? Gibt es fairen Kaffeehandel?

Ja.

Was es GIBT sind:
Röstereien, die sich sehr ernsthaft sowohl für wirklich sozial faire und ökologisch nachhaltige Kaffeeproduktion einsetzen, als auch für hohe Rohkaffee- und Röstqualität.
Manche von ihnen haben sich zusammengeschlossen unter der Bezeichnung „Transparent Trade Coffee“ (TTC).
Die wesentlichen Ansatzpunkte von TTC sind:

1. Direkter Einkauf bei kleinbäuerlichen Produktionsgemeinschaften ohne Zwischenhändler und Makler.

2. Eine klar definierte, nachvollziehbare, vertraglich festgelegte Vereinbarung, nach der den Bauern nicht nur ein fairer Rohkaffeepreis bezahlt und eine bestimmte, garantierte Abnahmemenge vor Beginn der Ernte vorfinanziert wird. Sondern darűberhinaus fließt ein bestimmter Prozentsatz von den Einnahmen des gerösteten Kaffees zu den Kaffeebauern zurűck. Mit anderen Worten: Die Kaffeebauern erhalten einen prozentualen Anteil des Verkaufspreises, den die Kaffeekonsumenten am Ende bezahlen. Der Fachbegriff dafür ist „Return to Origin“ (RTO)

3. Transparenz

Eine dieser sozial engagierten Röstereien ist „Quijote“ in Hamburg.

Auf der Website der Rösterei ist zu lesen: „Quijote ist in der Spezialitätenkaffeebranche weltweit führend in Bezug auf den ‚Return to Origin‘ (RTO). Dies ist der prozentuale Anteil des Verkaufspreises vom Röstkaffee, den die Produzenten erhalten. Er liegt bei uns zwischen 29% und 34 % und ist somit weit höher als branchenüblich. http://transparenttradecoffee.org/transparentcoffees
Dies hat zwei Gründe: Wir haben einerseits als Unternehmen keine Gewinnerzielungsabsicht über unsere Löhne hinaus und andererseits wollen wir keine soziale Selektion unserer Kunden über den Preis.“

Quijote, so lese ich weiter, sei gleichberechtigt als Kollektiv organisiert, was bedeute, dass alle Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und an alle Kollektivmitglieder der gleiche Lohn ausgezahlt wird. Dieser sei begrenzt auf den hamburgischen Durchschnittslohn. Des Weiteren wird eine Produktions-Obergrenze von 79t gerösteten Kaffees genannt.
Wichtig sei der persönliche Kontakt und Austausch mit den Partnerkooperativen, sprich den Kaffeebauern vor Ort.
Und Bioanbau sei eine Selbstverständlichkeit. Auf Siegel verzichte man – dafür werden die Rohkaffeeverträge veröffentlicht.

Wow! Ich bin schwer beeindruckt!

Aber wird der Kaffee der sűd-italophilen Prinzessin auf der Espressobohne auch schmecken?

„Pfui!“ sagt mein Gewissen, „die setzen sich wirklich für ’ne bessere Welt ein – und du hast nix besseres zu tun als dir Sorgen zu machen um die Erfüllung deiner Gourmet-Ansprüche. … Suuuper, Frau Edelgaumen! Nobel geht die Welt zugrunde! Dann geh mal schön deine erlauchten Geschmacksknospen polieren!“ …
„Hör zu, Gewissen!“, entgegnet mein lukullisches Ich, “ Du bist hier nicht der einzige, was zu melden hat. Mich gibt es auch, wie du wohl weißt – und ich werde mich von dir nicht mundtot moralisieren lassen! Ob’s dir gefällt oder nicht! Die Welt wird durch strangulierte Sinnlichkeit nun mal nicht lebenswerter! Du gibst dann womöglich mal Ruhe – aber alle anderen kriegen depressive Verstimmungen vor lauter Verzicht. Genuss ist wichtig für die Seele! Die Welt braucht glűckliche Menschen! Nur unglückliche Menschen zetteln Kriege an. So seh ich das! … “
„Ich finde, du űbertreibst es mit deinem abgehobenen Geschmecke!“ faucht das Gewissen, „Die Kaffeebauern sind dir wohl egal?! Das, was da passiert, ist auch eine Form von Krieg! Schnall das doch mal! Sei froh, dass du űberhaupt was zu trinken hast! Heißgetränk ist Heißgetränk! Maaaannnn ey!“
„Huh! Banause!“ Die innere Feinschmeckerin wendet sich schaudernd ab.
Harmonie mischt sich vorsichtig ein: „Vielleicht finden wir ja was, was euch beiden gefällt … “


*grummel*
*schweig*

Zum Uberfrettchen:

Die Mischung setzt sich zusammen aus 30%  washed Arabica und 30% natural Arabica  jeweils Ernte 2019 der Kooperative COMSA in Marcala, Honduras, sowie 40% washed Robusta aus der Ernte 2019 der Kooperative O. Wayanad in Kerala, Indien.

Die Verkostung:

Die unterschiedlich großen Bohnen sind schön gleichmäßig palisanderfarben geröstet. Eher dunkel  aber weit entfernt von sehr dunkel.

Sie duften angenehm warm-karamellig mit etwas Grűnem dabei.

Bester Bezug:

12,6g, BG-Temperatur bei Beginn des Bezuges (La Pavoni Professional) 94ºC, Bezugszeit 20 Sekunden.

Leuchtend rotbraune, dichte Crema, karamellig-sűffiger Duft, der bereits ein Quäntchen Säure verrät.

Beim Schmecken zeigt sich die Säure als hintergrűndig genug, weich und gut eingebunden. Sie hat tatsächlich was Cognacartiges. Gleichzeitig nehme ich etwas minimal (!) Adstringierendes, Stumpfes wahr, das mich an Grűne Walnuss und Stachelbeere mit Haut erinnert.

Die wunderbare 100%ige Zotter-Kakaomasse kommt mir in den Sinn. Ja, und auch Mousse (au Chocolat dűrfte gemeint sein)  wie es auf der Packung steht, kommt hin. Und dunkles Mandelkrokant. Das Uberfrettchen ist ausgesprochen rund, weich und űppig im Schmelz. Lecker!

Meinen ganz persönlichen, konditionierten Glűcks-Geschmack wűrde dieser so schon tolle Espresso vermutlich noch mehr treffen, wenn der Röstmeister/die Röstmeisterin ihn noch ein klein wenig dunkler werden ließe. Ein wenig mehr Röstaromen anstelle des ganz ganz leicht Zusammenziehenden, etwas Stumpfen, noch Grűnen, wűrden ihn fűr mich noch runder machen. Anderen schmeckt wahrscheinlich genau dieser Hauch Rest-Grűnheit besonders gut und sie wűrden ein kleines Mehr an Röstaromen bereits als störend bemängeln. Geschmackssache halt.

In jedem Fall gibt es eine klare Empfehlung von mir. Nicht nur wegen des Fairness- und Nachhaltigkeits-Bonus. Das Uberfrettchen ist klasse! Wobei ich keine Ahnung habe, was das ‚Uber‘ vor dem Frettchen bedeutet.